Die Wissenschaft der Demenz

Für eine Antwort auf einen Troll im Usenet suchte ich nach einem Begriff, der unmißverständlich ausdrücken sollte, daß ich  bestimmte Vorbehalte hinsichtlich des geistigen Zustandes meines Vorposters hatte. Ich entschied mich für das Substantiv "Demenz". Wie so oft fiel mir auf, daß ich im Grunde gar nicht wußte, wie dieses Wort genau definiert ist. Es gehörte zu den Worten, die allgemein benutzt werden, aber über dessen Inhalt kaum jemand eine detaillierte Auskunft geben kann. Damit gehört es in die gleiche Klasse wie z. B. "fatal" oder "Chauvinismus": Oft hört man sie und wenn man ihre Definition nachliest, kommt man manchmal zu dem Schluß, daß man selbst einen Text oder eine Rede nicht wirklich verstanden hat oder daß der Benutzer des Wortes gar keine Ahnung hat, von was er da eigentlich redet.

Ich hatte zwar eine schwammige Vorstellung der Bedeutung des Begriffes im Sinne von "Schwachsinn" und "Verblödung" im Kopf (manche Leute sagen, mit diesen beiden beschreibenden Wörtern wäre der Zustand innerhalb meines Kopfes vollkommen ausreichend definiert), aber keine genaue wissenschaftliche Formulierung. Also griff ich mir den "Duden" ("Dudenlexikon in 3 Bänden"; 7. Auflage) und schlug dieses Wort nach:

Dementia (Demenz) [lat.] Schwachsinn

So weit so gut. Innerlich frohlockte ich natürlich, hatte mich doch mein Gedächtnis nicht bei der Definition betrogen. Der nachfolgende Satz verschlug mir allerdings fast den Atem:

"im Laufe des Lebens erworbener Intelligenzmangel"

Der "Intelligenzmangel" muß also erworben werden. "Erwerb" hat immer auch etwas mit "Aufwand" zu tun. Es genügt also nicht, einen Intelligenzmangel zu haben, um der Elite der 'Demenzer' zugeordnet werden zu können. Um wirklich stolz von sich sagen zu können: "Ich habe Demenz!" muß man hart an sich arbeiten. Da reicht es nicht aus, sich täglich "Bärbel Schäfer" oder "Nicole - Entscheidung am Nachmittag" anzuschauen; nein, da braucht es mehr. Leider schweigt sich der Duden an der Stelle aus und gibt keine detaillierte Anleitung, wie man Demenz denn nun erwirbt.

Ich konnte trotz intensiver Nachforschungen im Netz nicht feststellen, wie denn dieser Erwerb auszusehen hat; ich traf lediglich auf eine ganze Menge Menschen, die sich augenscheinlich bereits im Zustand der vollkommenen Demenz befanden. Allerdings konnte ich keine genauen Auskünfte von diesen Personen bekommen, wie sie diese mir vollkommen erscheinende Stufe der Demenz erreicht haben. Der Nachteil der Demenz scheint zu sein, daß die Auserwählten nicht mehr in den Bahnen durchschnittlicher Menschen denken; ihre Mitteilungen für uns also äußerst kryptisch; manchmal sogar unsinnig erscheinen. Demenzer werden nur noch von ihresgleichen verstanden, so ungerecht uns das auch erscheinen mag.

Ich denke, man sollte sich mit der Art, wie man den spezifischen Intelligenzmangel erwerben kann, näher auseinandersetzen. Umfangreiche Studien sind nötig, um vollkommen aufzuzeigen, welchen Weg man zu gehen hat, um Demenz zu erreichen. Ich sehe in Zukunft eine Fülle an Büchern auf uns zukommen, die sich mit dem Thema beschäftigen; es wird schwierig werden, die bedeutende Fachliteratur von den reisserischen Werken raffgieriger Trittbrettfahrer zu unterscheiden. Die Wissenschaft der Demenz hat noch einen weiten Weg vor sich, da dieser neue Fachbereich, in dem Medienwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Sprachforschung, Psychologie etc. ineinanderfliessen, noch nicht genau umrissen ist. Nach Abschluß dieser Forschungsarbeit wird die Einführung eines Lehrstuhls für Demenz unumgänglich sein.

Leider ist nach der Definition des Dudens klar, daß das Studium unvollkommen bleiben muß, da es nur den Weg in die Demenz zeigen kann, denn Demenz erwirbt man erst "im Laufe des Lebens". Selbst ein zehnjähriges Studium kann demnach nicht zur vollkommenen Stufe der Demenz führen, weil das nur ein kleiner Abschnitt des Lebens ist. Wichtig ist, daß man an dem Thema dranbleibt; mit Konsequenz das Gelernte umsetzt, um schließlich zum Ziel zu kommen.

Bedauerlich ist, daß eine große Anzahl der Weltbevölkerung immer vom Erwerb der Demenz ausgeschlossen bleiben wird. Wie ich schon aufzeigte, hat man Demenz nicht; Demenz bekommt man erst in einem jahrelangen komplizierten Prozess. Allerdings gibt es eine Vorraussetzung, die der Demenz-Suchende erfüllen muß: Ein gewisses Maß an Intelligenz muß vor Erreichen der Demenz vorhanden sein, denn es gilt, die vorhandene Intelligenz zu verlieren. Wo keine Intelligenz ist, kann nichts abhanden kommen und folglich wird der weniger intelligente Mensch niemals eine Stufe der Demenz erreichen können. Allerdings macht das die Einordnung eines Demenzers sehr schwierig, da der Aussenstehende niemals weiß, ob er es jetzt mit einem totalen Idioten oder mit einem promovierten Demenzer zu tun hat. Ersteren braucht man nicht ernst nehmen; dem letzteren sollten wir jedoch unsere Anerkennung zollen.

Wenn Ihnen jemand Demenz vorwirft, ist es nicht etwa eine Beleidigung, sondern ein Lob. Es zeigt Ihnen, daß sie mit Ihrer Demenz-Forschung auf dem richtigen Weg sind. Wie die Definition des Dudens beweist, ist zur Erreichung von Demenz ein jahrelanger harter Weg nötig. Sobald dieses Wort in Zusammenhang mit Ihnen gebraucht wird, wissen Sie, daß sich die jahrelange Mühe ausgezahlt hat und jetzt endlich ihre verdiente Anerkennung bekommt. Seien Sie also stolz auf sich - Sie gehören einer privilegierten Elite an.