Marc bemerkte das sinnlose Crossposting ohne Follow up erst, als es
fast zu spät war. Drohend ragte das Posting über ihm auf und
begann bereits, seine Gedanken zu verwirren (sofern das überhaupt
noch möglich war). Ähnlich wie in dasV begann die Umgebung, seine
Synapsen zu beeinflussen. Ein beruhigendes Gefühl machte sich in Marcs
Körper breit; Vorstellungen von Vorherbestimmtheit und Wiedergeburt
durchströmten sein Bewußtsein. Er hatte bereits fast aufgegeben,
als ein Querschläger
aus einer Reality-Gun seinen lädierten Fuß traf. Ein einziger,
mächtiger, verzweifelter und ketzerischer Gedanke durchzuckte plötzlich
sein Gehirn; wurde stärker und stärker. Schließlich schrie
er verzweifelt das Zauberwort heraus, obwohl ihm bewußt war, daß
es nicht richtig war. Es erschien ihm allerdings als einzige Rettung vor
dem sicheren Untergang.
"FREMDCANCEL!"
Die Stille, die sich plötzlich in der Group ausbreitete,
war förmlich spürbar. Entsetzte Regulars und Gelegenheitsposter
sahen ihn mit einem Ausdruck der tiefsten Abscheu und der Verachtung an.
Selbst gelassene Poster begannen, ihre Flameguns auszupacken und in Bereitschaft
zu setzen. Das Crossposting war zwar besiegt, doch sah sich Marc einer
viel größeren Gefahr gegenüber.
Darth Bruegmann rieb sich mit finsterer Zufriedenheit die Hände.
'Das ist ja einfacher, als ich dachte' dachte er. 'Dieser Idiot liefert
sich praktisch selbst ans Messer. Cancelt ein Posting von T-Online. Das
wird lustig.'
Schnell schrieb er eine Mitteilung an die anderen User, damit
diese die Abuse-Abteilung benachrichtigen. Er gab sich den Anschein großer
Besorgnis; verurteilte die Handlung von Marc aufs Schärfste und hielt
einen leidenschaftlichen Vortrag über Meinungsfreiheit und Zensurgefahren.
Er selbst schrieb natürlich keine Benachrichtigung an die Abuse-Abteilung,
denn er wollte verhindern, daß man ihm irgendeine direkte Einmischung
nachsagen konnte.
Marc rannte und rannte über die Textwüste, während
links und rechts von ihm Flamegeschosse den Boden trafen und die Group
entzündeten. Sein Fuß bereitete ihm unvorstellbare Schmerzen.
Um ihn herum war ein regelrechter Krieg ausgebrochen: Poster, die ihn verteidigen
wollten, weil ihnen die unnötigen Crossposts ohne Follow-Up und OT-Inhalt
auf den Nerv gegangen waren, bekämpften andere Poster, die die Meinungsfreiheit
verteidigen wollten. *Plonks* und *Patschs* wurden nach allen Richtungen
ausgeteilt; es wurde gefupt und geflamt, was die Guns hergaben.
Marcs gesunder Fuß verfing sich indessen in einem äußerst
widersprüchlichen und unvernünftigen Text, auf den er durch Zufall
getreten war. Er strauchelte und fiel hin. Als er sich schwerfällig
auf den Rücken wälzte, sah er vor sich ein Klaus-Bärbel
mit der größten Flamegun, die er je gesehen hatte, auf seinen
Kopf zielen. Er schloss die Augen, bemerkte aber noch, wie die Umgebung
um ihn verschwamm...
Als er sie wieder öffnete, befand er sich in einer Art Gerichtssaal.
Stumme Geschworene sahen ihn anklagend an, während auf einer Cancel
ein Richter mit strenger Miene auf ihn hinabblickte. Der Richter sprach
ihn an: "Marc, Du bist angeklagt, ein Posting, das nicht von Dir stammte,
gecancelt zu haben. Was hast Du zu Deiner Verteidigung zu sagen?"
Marc fing an zu stottern. Je länger jedoch seine Verteidigungsrede
wurde, desto selbstsicherer wurde sein Auftreten. Er erzählte den
Geschworenen und dem Richter alles: Von Gott, von der Geheimwaffe namens
Web.de, von der Entscheidung der dag°-Verwaltung, ihn und Claas in
die Weiten des Usenets zu schicken, von den Erlebnissen in dasV usw. Die
Worte sprudelten praktisch nur so aus ihm heraus.
Nachdem er geendet hatte, herrschte für einen Moment lang
Schweigen im Gerichtssaal. Dann fing einer der Geschworenen an zu kichern,
die anderen setzten ein. Schließlich bog sich der gesamte Gerichtssaal
vor Lachen; es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis sich die Leute
wieder einkriegten (ziemlich albernes Volk das).
Schließlich sprach der Richter, der sich die Lachtränen
von der Wange putzte, das Urteil: "Marc, das ist die dämlichste Geschichte,
die ich je gehört habe. Jeder weiß, daß die dag°-Verwaltung
niemals zu einer einheitlichen Entscheidung kommen und jemanden in die
Weiten des Usenets schicken würde. Das ist", er fing schon wieder
an zu giggeln, "bodenloser Schwachsinn! Aufgrund des Fremdcancelns eines
Postings verbannen wir Dich hiermit aus dem Usenet. Du bist nun dazu
verdammt, den Rest Deines Lebens in den Wirren des I-Nets zu verbringen!
Schleust den Gefangenen ins I-Net!"
Marc wurde schwarz vor Augen: Das konnte nicht wahr sein. Nicht nur, daß er gezwungen wurde, in die unendlichen Weiten des Usenets zu ziehen, wollte man ihn jetzt noch ganz aus der vertrauten Umgebung verweisen - in eine grauenhafte, bunte Welt voller Klicks und Hyperlinks. Schon begann der Gerichtssaal vor seinen Augen zu verschwimmen...