Folge 3: Die Verbannung (interne Bezeichnung Fup2)
 
 Claas blickte sich um. Die Umgebung hatte sich radikal verändert. In mehreren Reihen saßen Poster auf virtuellen Stühlen und schauten wißbegierig auf riesige Tafeln, auf denen Antworten zu von ihnen gestellten Fragen erschienen. Die unruhige und unsichere Haltung der Poster verriet Claas, daß es sich wohl um Neulinge im Usenet handeln mußte. Daneben gab es aber auch einige alte Hasen, die Erfahrung ausstrahlten und wohl ihr Wissen erweitern wollten. In der Ecke standen ein paar Schüler mit Eselskappen auf dem Kopf, die anscheinend unbelehrbar waren.
 Plötzlich vernahm er eine laute Stimme aus dem Nichts, die seinen Namen rief. Erstaunt schaute er sich um und suchte nach dem Besitzer der lauten, wohltönenden Stimme.
 Erneut rief die Stimme seinen Namen.
 "Wer bist Du?" fragte Claas
 "Ich bin das Orakel des Usenet! Euer Feind, der im Verborgenen gegen euch  arbeitet, hat einen schweren Fehler gemacht und Dich direkt zu mir gefupt. Ich beobachte eure Bemühungen schon eine ganze Weile."
 "Feind? Jemand arbeitet gegen uns? Wovon sprichst Du?"
 "Versuche nicht den Text hier durch unnötige Fragen zu strecken; das bemerken die Leser sofort! Höre vielmehr, was ich Dir zu sagen habe. Marc kann ich zur Zeit nicht helfen; er ist in einem Bereich, in dem jegliche Vernunft versagt. Um das Usenet zu retten und Gott zu tackern, mußt Du Dich in die Welt des I-Netzes begeben. Das ist eine Welt des Chaos, der Unvernunft und der Pseudonyme. Den Weg in diese Welt mußt Du selbst finden. Folge einfach der IP-Nummer."
 "I-Net? Das ist doch nur eine Legende! Das gibt es doch gar nicht!"
 Claas graute bei dem Gedanken, sich in eine Welt zu begeben, die er nicht verstand und in der er sich nicht auskannte. Alleine der Aufenthalt in der unendlichen Weite des Usenets hatten seinen Verstand bereits auf eine harte Probe gestellt. Wieviel schlimmer mußte dagegen eine Welt aussehen, die keine Regeln kannte.
 "Claas, Du mußt mir vertrauen. Die Existenz des Usenets hängt jetzt ganz von Dir alleine ab. Meine Macht im I-Net ist zwar nur begrenzt, aber ich werde versuchen, Dich dort zu beschützen - zumindest wenn ich nüchtern bin! *buöarps* Sorry! Ich fuppe Dich jetzt wieder in dasV."
 'So ein Müll!' dachte Claas. 'Dieser bescheuerte Marc amüsiert sich wahrscheinlich zu Tode und ich kann den Scheiß ganz alleine ausbaden!'
 Weiter dachte er nicht, denn seine Umgebung begann, sich zu verändern. In der Ferne konnte er bereits das nebulöse gigantische rotierende "V" erkennen. Dann traf ihn ein HTML-Brocken am Kopf und er verlor das Bewußtsein.

Marc bemerkte das sinnlose Crossposting ohne Follow up erst, als es fast zu spät war. Drohend ragte das Posting über ihm auf und begann bereits, seine Gedanken zu verwirren (sofern das überhaupt noch möglich war). Ähnlich wie in dasV begann die Umgebung, seine Synapsen zu beeinflussen. Ein beruhigendes Gefühl machte sich in Marcs Körper breit; Vorstellungen von Vorherbestimmtheit und Wiedergeburt durchströmten sein Bewußtsein. Er hatte bereits fast aufgegeben, als ein Querschläger
aus einer Reality-Gun seinen lädierten Fuß traf. Ein einziger, mächtiger, verzweifelter und ketzerischer Gedanke durchzuckte plötzlich sein Gehirn; wurde stärker und stärker. Schließlich schrie er verzweifelt das Zauberwort heraus, obwohl ihm bewußt war, daß es nicht richtig war. Es erschien ihm allerdings als einzige Rettung vor dem sicheren Untergang.
 "FREMDCANCEL!"
 Die Stille, die sich plötzlich in der Group ausbreitete, war förmlich spürbar. Entsetzte Regulars und Gelegenheitsposter sahen ihn mit einem Ausdruck der tiefsten Abscheu und der Verachtung an. Selbst gelassene Poster begannen, ihre Flameguns auszupacken und in Bereitschaft zu setzen. Das Crossposting war zwar besiegt, doch sah sich Marc einer viel größeren Gefahr gegenüber.

 Darth Bruegmann rieb sich mit finsterer Zufriedenheit die Hände. 'Das ist ja einfacher, als ich dachte' dachte er. 'Dieser Idiot liefert sich praktisch selbst ans Messer. Cancelt ein Posting von T-Online. Das wird lustig.'
 Schnell schrieb er eine Mitteilung an die anderen User, damit diese die Abuse-Abteilung benachrichtigen. Er gab sich den Anschein großer Besorgnis; verurteilte die Handlung von Marc aufs Schärfste und hielt einen leidenschaftlichen Vortrag über Meinungsfreiheit und Zensurgefahren. Er selbst schrieb natürlich keine Benachrichtigung an die Abuse-Abteilung, denn er wollte verhindern, daß man ihm irgendeine direkte Einmischung nachsagen konnte.

 Marc rannte und rannte über die Textwüste, während links und rechts von ihm Flamegeschosse den Boden trafen und die Group entzündeten. Sein Fuß bereitete ihm unvorstellbare Schmerzen. Um ihn herum war ein regelrechter Krieg ausgebrochen: Poster, die ihn verteidigen wollten, weil ihnen die unnötigen Crossposts ohne Follow-Up und OT-Inhalt auf den Nerv gegangen waren, bekämpften andere Poster, die die Meinungsfreiheit verteidigen wollten. *Plonks* und *Patschs* wurden nach allen Richtungen ausgeteilt; es wurde gefupt und geflamt, was die Guns hergaben.
 Marcs gesunder Fuß verfing sich indessen in einem äußerst widersprüchlichen und unvernünftigen Text, auf den er durch Zufall getreten war. Er strauchelte und fiel hin. Als er sich schwerfällig auf den Rücken wälzte, sah er vor sich ein Klaus-Bärbel mit der größten Flamegun, die er je gesehen hatte, auf seinen Kopf zielen. Er schloss die Augen, bemerkte aber noch, wie die Umgebung um ihn verschwamm...

 Als er sie wieder öffnete, befand er sich in einer Art Gerichtssaal. Stumme Geschworene sahen ihn anklagend an, während auf einer Cancel ein Richter mit strenger Miene auf ihn hinabblickte. Der Richter sprach ihn an: "Marc, Du bist angeklagt, ein Posting, das nicht von Dir stammte, gecancelt zu haben. Was hast Du zu Deiner Verteidigung zu sagen?"
 Marc fing an zu stottern. Je länger jedoch seine Verteidigungsrede wurde, desto selbstsicherer wurde sein Auftreten. Er erzählte den Geschworenen und dem Richter alles: Von Gott, von der Geheimwaffe namens Web.de, von der Entscheidung der dag°-Verwaltung, ihn und Claas in die Weiten des Usenets zu schicken, von den Erlebnissen in dasV usw. Die Worte sprudelten praktisch nur so aus ihm heraus.
 Nachdem er geendet hatte, herrschte für einen Moment lang Schweigen im Gerichtssaal. Dann fing einer der Geschworenen an zu kichern, die anderen setzten ein. Schließlich bog sich der gesamte Gerichtssaal vor Lachen; es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis sich die Leute wieder einkriegten (ziemlich albernes Volk das).
 Schließlich sprach der Richter, der sich die Lachtränen von der Wange putzte, das Urteil: "Marc, das ist die dämlichste Geschichte, die ich je gehört habe. Jeder weiß, daß die dag°-Verwaltung niemals zu einer einheitlichen Entscheidung kommen und jemanden in die Weiten des Usenets schicken würde. Das ist", er fing schon wieder an zu giggeln, "bodenloser Schwachsinn! Aufgrund des Fremdcancelns eines Postings verbannen wir Dich hiermit aus dem Usenet. Du bist nun dazu
verdammt, den Rest Deines Lebens in den Wirren des I-Nets zu verbringen! Schleust den Gefangenen ins I-Net!"

Marc wurde schwarz vor Augen: Das konnte nicht wahr sein. Nicht nur, daß er gezwungen wurde, in die unendlichen Weiten des Usenets zu ziehen, wollte man ihn jetzt noch ganz aus der vertrauten Umgebung verweisen - in eine grauenhafte, bunte Welt voller Klicks und Hyperlinks. Schon begann der Gerichtssaal vor seinen Augen zu verschwimmen...