Folge 4: Resultate (interne Bezeichnung "6XXXKaTee")

(Mein Text wurde mit "*" gekennzeichnet; Claas' Text mit "+")

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 Seltener Schnapp-
 schuss von Ilyvt

* "SECHS!!!1"
 Claas schüttelte heftig den Kopf, um wieder klar zu werden oder zumindest das, was er für "klar" hielt. Der HTML-Klumpen, der ihn am Kopf getroffen hatte, saß hämisch grinsend vor ihm, während er höchst unappetitlich auf ein wenig verschwendeter Bandbreite herumkaute. Dann stapfte er ein paar Meter weiter und begann sich mit einem Signature-Virus zu prügeln, der provozierend "Oje! Oje!" brüllte.
 "SECHS!!! LEVITEN!!! GEGENDARSTELLUNG!!! ARRRRGGGGHHHH!!!"
 Claas schaute sich unbehaglich nach der Herkunft der Stimme um, die ihn geweckt hatte. Er erkannte den Schemen des Meisters, der hinter dem nebulösen rotierenden "V"  in Extase zuckte, während vor Lachen brüllende Regulars um ihn herumtanzten und ihm die Zunge 'rausstreckten. Ihre Reality-Guns waren jetzt zum Teil mit Irony-Munition oder Verarsch-Granaten geladen, und sie schossen mehrere Salven auf den Meister ab, ohne daß dieser das überhaupt bemerkte.
 'Merkwürdige Rituale haben die hier!' dachte er. 'Wie finde ich denn jetzt diesen bescheuerten Gott und den Weg ins I-Net?'
Der Sig-Virus schlug derweil sichtlich begeistert dem HTML-Brocken die Netiquette mit derartiger Wucht, die man normalerweise als "unnötige überzogende Gewaltanwendung" bezeichnen würde, um die Ohren, daß sich die Tags meilenweit in der Textwüste verbreiteten. Als der Brocken nur noch leise wimmerte, verlor der Sig-Virus das Interesse, näherte sich Claas und setzte sich ihm gegenüber. Er bestand im Grunde nur aus einem kugelrunden Körper mit einem riesigen grinsenden Gesicht auf der Vorderseite. Aus dem Körper wuchsen zwei so dünne Ärmchen, daß sich Marc fragte, wie der Sig-Virus mit diesen Trommelstöckchen eigentlich einen HTML-Brocken taglos schlagen konnte. Die Ärmchen mündeten in Patschhändchen mit je drei Fingern.
 "Tach auch!" sagte der Sig-Virus und kratzte sich in einer Gegend, die man eventuell als seinen Bauch bezeichnen könnte. Vielleicht lag die Zone der Kratzaktivitäten auch etwas unterhalb der Gegend, in der man den Bauch eines Sig-Virus vermuten würde; ich habe nicht so genau hingeschaut - auch ein Sig-Virus hat ein Recht auf Privatsphäre. " Ich bin 'I-Love-you.vbs.txt'. Meine Freunde nennen mich Ilyvt. Du bist neu hier?"
 "Ja...äh... kennen wir uns?"
 "Mag sein, Du hast mich eventuell schon mal im Usenet getroffen. Ich ärgere die armen Oje-User, weißt Du?"
 "Ja ja, draufgeschissen. Sag' mal, was willst Du eigentlich von mir ?"
 "Nie StarWars gesehen? Ich bin der süße lustige Sidekick, der den Helden zur Seite steht und sich nachher prima durch Merchandising vermarkten lässt - als Actionfigur, Knuddelpuppe, Zeichentrickserie, auf Cola- und Cornflakes-Dosen usw. Ich sichere quasi den Wohlstand unserer Produzenten. Außerdem kann ich Dir bei Deinem Problem helfen! Ach übrigens - Du plenkst!"
 "Oh sorry, kommt nicht wieder vor. Äh... Woher weißt Du von meinem Problem?"
 "Wir Sig-Viren kommen viel herum, da schnappt man eine Menge auf. Du willst also ins I-Net?"
 "Jau. Kennst Du einen Weg, wie wir dahinkommen?"
 "Das ist einfach: Sobald der nächste Depp auf mich klickt, mußt Du Dich nur an mir festhalten."
 "Gibt es wirklich Idioten, die einfach auf irgendeinen Link in einem Posting klicken?"
 Ilyvt zwinkerte: "Glaub' mir, die Schwachköpfe sterben nie aus. Davon gibt es mehr, als Du denkst!"
 'Naja', dachte Claas, 'ich komme aus dag°. Ich glaube, mit Schwachköpfen kenne ich mich ganz gut aus! Die sind aber nicht halb so irr' wie das hier. Hey, reimt sich!' Eine Welle von Selbstmitleid und Heimweh nach den heiligen Hallen von dag° mit seiner undurchschaubaren Verwaltung, den blutigen Eichen- und Marmortischen und den Trolleichen in den Ecken überkam ihn.
 Lange konnte er sich nicht der besten Depression seit 2 Jahren hingeben, denn direkt neben Claas und Ilyvt entstand ein Riss in der Textwüste und eine IP-Nummer materialisierte sich. Aus der IP-Nummer bildete sich ein zweidimensionaler Pointer im dreidimensionalen Raum, der sich in Richtung Ilyvt bewegte.
 Ilyvt grinste: "Schnell, halt' Dich an mir fest. Another loser clicks again! What a dumbfuck!"
 Schnell packte Claas seinen neuen Freund (wirklich niedlich, der Kleine. Sein Abbild wird in Zukunft unverzichtbar, wenn man k3wl und "in" sein möchte. Demnächst hier auf dieser Seite zum kostenpflichtigen Download! Limitierte Auflage - deshalb schnell zugreifen!) an den Ärmchen und beobachtete, wie sich unmittelbar vor ihnen ein Tunnel öffnete. Im nächsten Moment wurde er mitsamt dem Sig-Virus in den Strudel hineingezogen. Das I-Net öffnete sich in seiner vollen Pracht: Unmengen von Files aller Arten sausten hin und her; undurchschaubare PGP-Mails rasten vorbei. Tansaktionen wurden getätigt, Auktionsdaten übermittelt, Chats begonnen, fortgeführt oder abgebrochen (vorzugsweise ohne Großbuchstaben und mit dämlichen Pseudonymen wie "Nachtschlucker", "Thumbhead", "Geile_feuchte_Tussi12258" oder auch "LaVerne" geführt), Termine abgefragt, eMail-Adressen oder Informationen ausgetauscht, Dates getroffen oder gelöst. In bunter Farbenvielfalt breitete sich das I-Net in alle 3 Dimensionen aus; unübersichtlich, unheimlich und voller Gefahren. Es gab weder Boden noch Decke.
 'Wenn das Gibson sehen könnte' dachte Claas aus keinem besonderen Grund.
 Ilyvt wechselte abrupt seinen Kurs und knallte gegen eine Website mit dem Titel "Free XXX Liveshows! All free! Ok, almost free! Ok, ok, we want your money, you horny ugly little wanking bastard without any dates!". Verärgert über die Störung beschloss die Site, ihren Dienst vorübergehend einzustellen, was einigen Leuten ziemlich den Abend vermieste. Wahrscheinlich bestand zwischen der Selbstmordrate an diesem Abend und der Nichterreichbarkeit der Seite eine gewisse Korrelation.
 Claas verlor das Gleichgewicht, liess die Ärmchen von Ilyvt los und taumelte durch das I-Net. Er mußte hilflos mitansehen, wie Ilyvt mit einem "hotteen07.jpg" davonsauste und anscheinend ein paar ganz und gar unanständige Sachen, die ich mich schäme wiederzugeben, machte (wobei ich mich natürlich frage, wie der kleine, süße und demnächst unentbehrliche Knubbel, den man bald von dieser Seite kostenpflichtig herunterladen kann, diese ganz und gar unanständigen Sachen, die ich mich schäme wiederzugeben, machte).
 Claas spürte, wie ihm die Sinne schwanden, als die Informationen des I-Nets nur so an ihm vorbeirauschten.
 'Nicht schon wieder', dachte er und fühlte für einen kurzen Moment ein verwandtschaftliches Gefühl zu einem Begonien-Blumentopf in einer anderen weit entfernten Galaxis, konnte sich aber nicht erklären, woher diese Empfindung stammte. Er beschloß, nicht weiter darüber nachzudenken und statt dessen einfach bewußtlos zu werden.

In einem ganz anderen Bereich des I-Nets spie ein ganz anderer Tunnel einen vollkommen verwirrten (naja, wie gesagt: Normalzustand) Marc aus. Vollkommen wehrlos drehte er sich um seine eigene Achse, den provisorischen Tacker ängstlich umklammernd, bis er schließlich gegen einen riesigen Knoten knallte, über dem ein blinkendes, rotierendes Neonschild reisserisch (und irgendwie überheblich, wenn ein Neonschild das überhaupt sein kann) 'Gnutella-Client' verkündete. Ein BritneySpears.mp3 verliess gerade mit hoher Geschwindigkeit den Knoten, bemerkte Marc, bremste anmutig, schwebte sich in eine aufreizende Position und sprach ihn an: "Na Kleiner, Lust auf ein paar ausgefallene Sauereien?"
 "Grmgsaferfbllll" antwortete Marc sabbernd.
 "Na dann eben nicht" antwortete das BritneySpears.mp3 entrüstet und sauste schmollend davon.
 'Weiber', dachte Marc, 'nur das eine in den Binären!'
 Weiter dachte er nicht (wundert das wen), weil ein ziemlich großes AndrewDiceClay.mp3 mit voller Wucht in ihn prallte und mit ihm davonraste. Zur Abwechslung beschloss Marc, bewußtlos zu werden.

+ Langsam kam Claas wieder zu sich. Er schaute sich um. IP-Pakete rauschten an ihm vorbei. Kreuzten die Bahn mit HTML-Brocken und wirtslosen Viren auf der Suche nach neuen Opfern. Immer noch benommen, konnte er im letzten Moment einer Email ausweichen. Im Vorbeiflug konnte er gerade noch das Subject erkennen: "dagwars-Folge 2375". Was bedeutete das, bedeutete es für ihn überhaupt etwas? Vorsichtig robbte er in eine Ecke, in der der Verkehr offensichtlich nicht so stark war. Auf einem Schild konnte er lesen "www.microsoft.de".
 Hier fühlte er sich halbwegs sicher. Hoffentlich war diese Sicherheit nicht trügerisch, denn hinter dem Schild vernahm er Jammern und Wehklagen.
 "Wenn doch nur Marc bei mir wäre!", dachte er bei sich.
 In diesem Moment sah er ein großes MP3-File langsam vorbeiziehen und darauf lag - Marc!
 Schnell sprang Claas auf und zerrte Marc von dem vorbeidümpelnden MP3. Drei, vier schnelle Schläge in Marc´s Gesicht und dieser kam langsam wieder zu sich. Ebenfalls noch benommen fragte Marc:
 "Wo bin ich? Im Himmel? In der Hölle? Zurück in dag°?"
 "Nein!" antwortete Claas. "Im I-Net! Das gibt´s wirklich!"
 Schaudernd schauten sich die beiden Helden um. Wie sollten sie weiter vorgehen? Sollten sie überhaupt gehen? Wohin? Warum?
 "Hier rumlungern bringt auch nichts! Laß uns weiterziehen und unseren Auftrag erfüllen!", sprach Claas und schwebte los.
 Kopfschüttelnd und sich ängstlich an seinem Tacker festhaltend schwebte Marc humpelnt hinterher. Nachdem sie eine ganze Weile ziellos umherirrten, blieb Marc - behindert ob seines verletzten Fußes - erschöpft im freien Raum stehen.
 "Schau mal!" sagte er und wies auf ein Schild über ihm, auf dem in großen Lettern "www.google.com" prangte. "Ob dies etwas mit "Gott" zu tun hat? Fängt schließlich auch mit "G" an?". Erstaunt über Marcs Genialität hielt Claas ebenfalls an.
 "Und nun?" fragte er.
 Marc drehte sich zu dem Schild und hauchte "Gott?".
Nach 0,96 Sekunden rief eine Stimme hinter dem Schild:
 "Resultate 1-10 von ungefähr 27,900"
 "Eine Spur!" rief Marc. "Jetzt brauchen wir nur noch diesen Hinweisen einzeln nachgehen und werden unseren Auftrag erfüllen können!"
 In diesem Augenblick traf Claas eine Idee wie der Blitz! Endlich konnte er seine Geheimwaffe beim Namen nennen, was ihm in dag° strikt untersagt wurde. Aber bis hierher reichte selbst der Arm der allmächtigen Oberschwester nicht: "Kamillentee!!"
Und die Stimme hinter dem Schild sprach: "Resultate 1-10 von ungefähr 1,460"
 "So," sagte Claas "daraus braue ich uns jetzt meine Geheimwaffe" und tat es!
 "Neeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeiiiiiiiiiiiiiiiiiin" vernahmen die beiden plötzlich eine Stimme aus der Ferne. Verwirrt blickten sie sich um. Sie glaubten, die Stimme von Darth Bruegmann erkannt zu haben. War dies möglich? Er war doch in dag°? Was tat er hier? War er es wirklich? Wenn ja, warum? Wenn nein, egal?
 Schnell nahmen beide einen Schluck frischen Kamillentee. Unsere Helden wurden sofort ruhiger und begannen nachzudenken (sofern den beiden dies überhaupt möglich war). Wohin sollten sie sich in dieser für sie fremden Umgebung nun wenden? Nirgends konnten sie einen Wegweiser entdecken, nur Chaos und ungeordneten Verkehr von IP-Paketen, Emails und e-commerce-Daten. Eine verschlüsselte Kreditkartennummer sauste nur haarscharf an ihnen vorbei.
 "Nun," sagte Marc "folgen wir doch einfach dem ersten Hinweis."
 "Wie soll das gehen? Da steht doch keine Wegbeschreibung!" fragte Claas.
 Bei näherem Hinsehen konnten sie jedoch feststellen, daß eine Passage in dem Hinweis in blauer Schrift und unterstrichen war. Langsam streckte Marc seine Hand danach aus. Claas blieb das "Stoooooooop!" im Halse stecken. Zu spät! Marc hatte den Hyperlink schon berührt. Plötzlich wurden unsere Helden von aus dem Nichts erscheinenden IP-Paketen gepackt und los ging die wilde Reise. Vorbei an vielen unleserlichen Schildern, toten Links rasten sie scheinbar unkontrolliert durch das I-Net. Sie prallten an Firewalls ab, wurden umgeroutet und neu verschlüsselt. Immer schneller wurde der wilde Ritt. Das war zuviel für unsere Helden. "Idiot" flüsterte Claas noch zu Marc, dann schwanden beiden die Sinne.

 Wo würde ihre Reise enden? Würde sie überhaupt enden? Gibt es von diesem Schwachsinn etwa noch eine Fortsetzung? Wen kümmert es? Und was ist mit Darth? Hat er sein Ziel ohne sein Zutun erreicht? Haben unsere Helden ihm in ihrer Dusseligkeit etwa in die Hände gespielt?

*Achtung! Ich weise darauf hin, daß Kamillentee in hohen Dosen schädlich für die geistige Gesundheit ist, wie man an diesen Zeilen unschwer erkennen kann. Ich empfehle, bei Kamillentee-Abhängigkeit auf  Alkohol umzusteigen - führt zwar zu ähnlichen Aussetzern, aber diese werden dann von der Umwelt leichter akzeptiert.