> dagwars6 Folge 6: Die Bielefeld-Verschwörung (interne Bezeichnung <zensiert> <zensiert> <zensiert>)

 "Scheiße! Er ist einer von IHNEN!" lallte Claas entsetzt und wünschte sich einen Kamillentee.
 "Ich bin einer von was?!?" rief Jodo erstaunt aus und schnappte sich einen "Freibeuter", bevor die deliriende eMail sie ihm wegschnappen konnte.
 "Du wohnst mitten in dieser Stadt der Verschwörer! Hier ist das Grauen, die absolute Gehirnwäschefabrik, Heim der Massenmörder, Manipulierer und Vertuscher! Dies ist das schwarze Loch, der Abschaum des Universums, das..."
 "Nana, so schlimm sind unsere Fummelbunker auch nicht. Da kenne ich wirklich erschreckenderes" sagte Jodo und dachte kurz an einen Aufenthalt in einem Keller in Duisburg.
 hotteen07.jpg näherte sich vorsichtig Jodo und beäugte ihn neugierig (Jodo beäugte ebenfalls ziemlich neugierig das nackte Mädel, aber das finde ich vollkommen verständlich). "Er sieht doch ganz harmlos aus" bemerkte sie und zog Jodo an seinen spärlichen Haaren.
 "Wenn er eine verdächtige Bewegung macht, tacker ich ihn weg!" sagte Marc und hob drohend den provisorischen Tacker.
 Jodo platzte ein wenig der Kragen, schnappte Marc den Tacker aus der Hand und scheuchte die Mail von den Bierreserven fort. Die Mail sah ihn mißbilligend an, bemerkte eine Flasche Rotwein, die einsam und verlassen auf dem Tisch stand und näherte sich ihr vorsichtig, wobei sie fast ein Bücherregal umwarf. "Hau ab" sagte die Rotweinflasche. Grummelnd verzog sich die Mail in eine Ecke und schmollte.
 Alle anderen starrten verdutzt die Rotweinflasche an, beschlossen aber, nicht weiter darüber nachzudenken. Jodo warf der Mail resignierend eine Dose "Freibeuter" zu. Hechelnd fing die Mail die Dose auf (hätte eine Mail einen Schwanz, hätte sie in diesem Moment mit Sicherheit wie wild gewedelt. Immerhin verlor die Mail vor freudiger Erregung einen Teil ihrer Signatur), machte sich über den Inhalt her und fiel wieder ins Delirium.
 "Was machen wir denn jetzt?" fragte Claas, sichtlich geschüttelt vom Kamillentee-Entzug.
 "Wie wär's, wenn ihr mal versuchen würdet, den User namens 'Gott' mit Hilfe des Internets zu identifizieren?" fragte Jodo.
 Ilyvt schaute Jodo erstaunt an. Soviel Intelligenz hätte er einem menschlichen Wesen eigentlich nicht zugetraut. "Au ja. Hast Du Zugang zum Internet?"
 Jodo verdrehte die Augen gen Decke. "Du Schwachkopf. Wie bist Du wohl hier gelandet, hm?"
 "Äh, sorry, ich vergaß. Muß an der ungewohnten Umgebung liegen" sagte Ilyvt und warf einen eifersüchtigen Seitenblick auf hotteen07.jpg, die Jodo mit unverhohlenem Interesse musterte. In Gedanken machte er sich ein Häkchen an den Punkt "Jodo frittieren und langsam rösten".
 hotteen07.jpg hob Ilyvt auf den Stuhl vor dem Rechner, da seine Schwebefähigkeiten in der realen Welt nicht funktionierten. Ungeduldig stellte er die DFÜ-Verbindung her, machte eine ironische Bemerkung über das verwendete Betriebssystem, tippte eine Adresse in den Kopf des Browsers und wartete auf das Erscheinen der ersten Seite. Als diese endlich geladen war, stieß er einen Ausruf der Enttäuschung aus: "Was? So unspektakulär sieht das von dieser Seite des Monitors aus?"
 Ilvvts drei Finger huschten mit kaum wahrnehmbarer Geschwindigkeit über die Tastatur. Während der Ladezeiten, die Ilyvt unendlich erschienen, trommelte er ungeduldig auf dem Schreibtisch herum. Wärend der unzähligen Abstürze des Browsers fluchte er leise vor sich hin.  Schließlich hatte er eine Adresse.
 "Bingo!" sagte er und schaute Jodo an. "Hast Du eine Ahnung, wo das sein könnte?"
 Jodo blickte auf den Monitor. "Hey, das ist nicht weit von hier. Dahin können wir sogar laufen!" Er blickte auf Ilyvt und die total besoffene Mail. "Naja, sagen wir mal so: Der größte Teil von uns kann dahin laufen."
 Ilyvt terminierte die DFÜ-Verbindung, startete den DOS-Modus und gab ein 'format c:' ein. Jodo wurde kreidebleich: "Warum hast Du das gemacht?"
 "Ich bin ein Sig-Virus. Wir sind halt so!" antwortete Ilyvt mit breitem Grinsen.

Eine merkwürdige Gruppe schlich durch die Bielefelder Nacht. Aus einem prall gefüllten Rucksack auf dem Bauch eines recht hübschen Mädels, das mit Klamotten bekleidet war, die ihr mindestens zwei Nummern zu groß waren, strahlten zwei Augen in die Dunkelheit. Jodo hatte die Führung übernommen. Marc und Claas gingen hinter ihm her und versuchten, so unauffällig wie möglich zu wirken, was ihnen aber nicht ganz gelang, da sie oft  staunend stehenblieben und sich in der ungewohnten Umgebung umschauten. Die total besoffene eMail hatten sie in Jodos Wohnung gelassen.
 Zwei kleine Aliens kreuzten ihren Weg und unterhielten sich auf alienesisch. Einer zeigte dem anderen ein Schriftstück, das mit merkwürdigen Schriftzeichen bedeckt war, und beide lachten laut auf.
 "Hast Du die beiden gesehen?" fragte Ilyvt aus seinem Versteck heraus Jodo.
 "Welche beiden? Meinst Du die beiden Blagen, die Pokemon-Sammelkarten austauschen?" erwiderte Jodo.
 Die beiden Aliens blieben stehen und musterten die Gruppe mißtrauisch, weil sie die Herkunft von Ilyvts Stimme nicht bestimmen konnten. Sie spähten und schnüffelten nach allen Seiten. Nach einer Weile gingen sie einfach weiter, schauten sich aber hin und wieder nach den Eindringlingen um.
 "Äh... Jodo... das waren irgendwelche unbestimmten Wesen, die ich höchstens von Binaries kenne, die angeblich Außerirdische aus Rosswell zeigen!" sagte Marc.
 "Ihr spinnt doch!" erwiderte Jodo. "Das waren zwei ganz normale Kinder." Kurzzeitig kam ihm der Gedanke in den Sinn, daß ganz normale Kinder nicht mitten in der Nacht Pokemon-Sammelbilder austauschen würden, allerdings wurde der Gedanke sofort nach seinem Erscheinen aus seinem Gehirn gelöscht.
 Sie bogen in eine Hauptstraße ein. In der Ferne waren die Umrisse eines riesigen Raumschiffes zu erkennen. Golden glitzernd erhob sich das fremdartige Gebilde über der Stadt. Etliche Aliens, die den beiden Gestalten glichen, die die Besucher aus dem Netz zuvor erblickt hatten, wuselten auf seiner Oberfläche herum und schienen Wartungsarbeiten zu leisten. Die Besucher blieben überrascht stehen und betrachteten das unbekannte Flugobjekt. Jodo schaute kurz zurück.
 "Was ist denn jetzt schon wieder?" fragte er.
 Claas deutete verunsichert auf das riesige Gebilde. "Was... was ist das denn?"
 "Das ist das Ratshaus. Habt ihr sowas noch nie gesehen?"
 Ilyvt ging ein Licht auf. "Er sieht es wirklich nicht! Er glaubt, das ist wirklich nur ein Gebäude. Typischer Fall von Umerziehungsmaßnahme."
 'Totale Idioten', dachte Jodo. 'Sehen ungewöhnliche Dinge, wo ganz und gar nichts ungewöhnliches zu sehen ist.'
 Sie bogen in eine weitere Straße ein. Tausende von Arbeitern liefen zwischen riesigen Fabrikhallen hin- und her und beschäftigten sich mit unverständlichen Dingen. Ein Teil der Gestalten wurde so schnell hin- und hergebeamt, das selbst ein aufmerksamer Beobachter wie ich schnell den Überblick verlieren konnte. Ein Ufo startete mit lautem Getöse in die Nacht, riesige Scheinwerfer leuchteten den Himmel aus, der von merkwürdigen Flugobjekten wimmelte. Überall waren Geräusche heftigster Betriebsamkeit zu hören.
 "Ich hab' euch doch gesagt: Hier in dem Stadtteil ist überhaupt nichts los. Tot. Hund begraben. Nicht mal das leiseste Geräusch zu hören in dieser Wohnsiedlung" sagte Jodo.
 "Ich wette, sie strahlen diese Umerziehungssignale durch Fernseher und Monitore aus, damit die Leute diese Fabrikhallen nicht mehr wahrnehmen" flüsterte Ilyvt.
 "Welche Fabrikhallen?" fragte Claas. "Ich sehe nur Wohnviertel!"
 Ilyvt seufzte und beschloß, weiter an seiner Theorie zu arbeiten.
 "Hast Du eigentlich eine Frau oder gar schon Kinder?" klimperte hotteen07.jpg Jodo zu. Ilyvt sah in Gedanken einen Jodo vor sich, der am Marterpfahl langsam gebraten wurde.
 "Nein. Eltern sind alle gleich. Der einzige Weg, niemals so zu werden wie unsere Eltern, ist der Verzicht auf eigene Kinder. Kinder schaden dem Charakter und sind der Entwicklung der Menschheit zu Offenheit und Abkehr vom Spießertum entgegengesetzt wirksam. Erst wenn die Menschheit lernt, daß das Kindergebären nur Konflikte ergibt, wird eine Verbesserung der Welt möglich."
 "Oh" stammelte hotteen07.jpg enttäuscht und drückte Ilyvt in seinem Rucksack an sich.
 "Ich will Kinder! Ich liebe Kinder! Ich will einen ganzen Stall davon!" rief Ilyvt aus seinem Versteck.
 Jodo blieb an einem kleinen Häuschen stehen. Dieses Haus wirkte in der Gegend absolut deplaziert, denn es wies eine ganz normale Architektur auf. Dies war die Sorte von Häusern, gegen deren Mauern man schon mal laufen konnte, weil sie so unscheinbar sind, daß sie bei einer flüchtigen Betrachtung überhaupt nicht auffallen. Dies war das architektonische Gegenstück zum VW Golf, dem regelmäßig unschuldige Fußgänger zum Opfer fielen, weil sie dieses langweilige und gewöhnliche Automobil gar nicht mehr bemerkten.
 Ilyvt witterte Gefahr: Wenn man schon in dieser kuriosen Umgebung einem Wohnhaus den Anstrich der vollkommenen Normalität geben mußte, konnte das nur bedeuten, daß es den Besitzern des Gebäudes sehr wichtig war, das Geschehen hinter diesen Mauern vor der Welt zu verbergen. Ein einsames Schild prangte am Eingangr: "Trollzentrale Abteilung Usenet".
 Jodo öffnete die Tür. Ein unendlicher Korridor erschien vor seinem Auge. Zu beiden Seiten des Korridors führte eine kaum zu überschauende Anzahl von Türen zu kleinen Büros, hinter denen eifriges Tippen zu hören war. Abgesehen von dem Klackern der Tastaturen und einem merkwürdigen Surren war das Haus totenstill.
 Vorsichtig schlichen unsere Helden durch den Korridor. Glücklicherweise schluckte der dicke Teppich, der mit seltsamen Symbolen wie Pyramdien, einem großen 'V' und der Zahl '6' geschmückt war, das Geräusch ihrer Schritte. Die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet, das einen moderigen Geruch ausströmte.  Auf den Türen rechts und links des Ganges waren unter einer Milchglasscheibe kleine Schildchen befestigt, die die Zimmernummer und einen Namen enthielten. Durch die Milchglasscheiben der Türen fiel das elektrische Licht von Monitoren auf der anderen Seite der Türen. Es stellte die einzige Beleuchtungsquelle des Korridors dar. Von der Decke baumelte eine dicke Spinne, die bedenkenlos den "Tarantula-Gedächtnispreis" erhalten hätte ('Hey', dachte die Spinne. 'Was heißt hier 'hätte'? Ich habe den Tarantula-Gedächtnispreis erhalten. Recherchier demnächst besser, Du Möchtegernautor!').
 Ilyvt war ganz unbehaglich zumute. Gedanken rasten durch seinen Kopf.
 (geh nicht in das Zimmer 217 oh Goddess denk nicht an Zimmer 217 oh nein nicht an das Grauen in Zimmer 217 denken bloß nicht die Tür zu Zimmer 217 öffnen)
 Der Sig-Virus schauderte. Woher war dieser Gedanke gekommen? Wie zum Teufel kam er ausgerechnet auf Zimmer 217?
 Claas blieb vor einer Tür stehen. "He Leute," brüllte er die anderen an. "Ich glaube, ich habe es gefunden!"
 Der Rest der Gruppe sprang erschreckt in die Höhe. Zusammengeduckt blieben sie stehen und lauschten. Das Klackern der Tastaturen ging ohne Unterbrechung weiter, anscheinend hatte niemand von ihnen Notiz genommen. Marc dachte kurz daran, Claas mit dem Tacker zu perforieren, entschied sich aber dann doch dagegen, da das Geräusch des Tackers und Claas' Todeskampf eventuell zu auffällig gewesen wäre.
 Die Helden huschten zur Tür. Ilyvt las kurz die Aufschrift auf dem Schildchen: "217 - Gottes M3M3". Ihm wurde noch mulmiger zumute. Marc legte vorsichtig eine Hand auf den Türgriff und drückte ihn hinunter.