Ein endloser Alptraum

Original-Titel: Nightmare Street
Herstellungsland: USA 1998
Regie: Colin Bucksey
Buch: Rama Laurie Stagner
Dan Witt
Darsteller: Sherilyn Fenn
Rena Sofer
Thomas Gibson


Die junge Witwe Joanna rettet ihre kleine Tochter vor einem Lastwagen, wird aber selbst von dem Wagen erfasst und erwacht im Krankenhaus. Von nun an beginnt ein Alptraum, denn jeder hält sie plötzlich für eine gänzlich andere Person mit einem ihr unbekannten Lebenslauf. In ihrem Haus wohnt eine andere Familie, ihr Kind ist nicht auffindbar, ihre Freunde und Bekannte haben ebenfalls eine andere Identität und erkennen sie nicht. Als ob das nicht genug wäre, wird sie zudem von einem aufdringlichen Polizist verfolgt, der überzeugt ist, daß sie ihren Sohn getötet hat. Mit Hilfe des Arztes Matt Westbrook, der sich in seine Patientin verliebt, versucht sie hinter das Geheimnis hinter der plötzlichen Veränderung ihrer Welt zu kommen.

[Vorsicht: Die Kritik enthält die Auflösung des Films]

Der Film beginnt vielversprechend und spielt geschickt mit der Urangst des Menschen, die eigene Identität zu verlieren. Schnell wird klar, daß man es nicht mit einem unmenschlichen Versuch irgendeiner bösen Geheimorganisation zu tun hat, denn Joanne begegnet Menschen aus ihrer Vergangenheit, die plötzlich spurlos verschwinden und hat einige andere Visionen. Man beginnt zu überlegen, ob Joanne nicht in Wirklichkeit eine Vergangenheit erfunden hat, um ein traumatisches Erlebnis zu verdrängen.
Die Spannung wird dabei aus der interessanten und mysteriösen Situation gewonnen, wobei der Zuschauer dem Ende entgegenfiebert, weil er wissen möchte, wie die Story aufgelöst wird.
 Im Mittelteil lässt der Film erheblich nach, da er zu wenig Neues bringt und Dinge wie den bereits bekannten Alptraum im Bild wiederholt. Zudem bauten die Drehbuchautoren die obligatorische und im Storyzusammenhang extrem überflüssige Liebesgeschichte ein, die dem Film keine neue Perspektive abringt, sondern lediglich so wirkt, als solle die Länge des Films gestreckt werden.
 Zum Schluß schließlich wird es ganz enttäuschend: Der Arzt konstruiert in Bezug auf Einstein die Theorie, daß es eventuell Paralleldimensionen geben könne und Joanne ihre Welt durch einen Zufall verlassen habe. Als sie von einem "unerklärlichen Gefühl" geleitet ("Ich fühle, daß er mir helfen kann") nochmals einen der Menschen aufsucht, der ihr aus "der anderen Welt" bekannt ist, eröffnet der Mann im Sterben, wie sie wieder in ihre Welt zurückkommen kann (der Zuschauer fragt sich natürlich, woher der Kerl das eigentlich wissen kann, wenn er in dieser Dimension eine vollkommen andere Identität besitzt). Schließlich löst sich alles in Wohlgefallen auf; der Autor geht sogar so weit, in einer erneuten unlogischen Einblendung auch das Schicksal von Joannes Parallelexistenz zu klären und das Alter Ego des neuen Lovers aus der "Parallelwelt" auftauchen zu lassen, damit das Happy-End komplett wird.

 "Alptraum ohne Ende" ist ein gutes Beispiel dafür, daß weniger Erklärung eigentlich unerklärlicher Phänomene im Film manchmal mehr sein kann: Durch das vollkommen unglaubwürdige und aufgesetzt wirkende Happy-End zerstört der Autor selbst den kleinsten Freiraum für eigene Interpretationen. Anstatt dieses Ende zumindest logisch herbeizuführen, baute man konstruiert wirkende Ereignisse ein, die den gesamten Streifen unglaubwürdig machen. Statt über die ungewöhnliche Situation, die der Streifen präsentiert, nachzudenken, grübelt man über den Sinn dieser platten Einfälle und ärgert sich schließlich über eine weitere verpasste Chance. Da es sich um eine amerikanische Fernsehproduktion handelt, liegt der Verdacht nahe, daß man den Zuschauer nicht zu sehr verwirren wollte. So verkommt der eigentlich mit einer interessanten Ausgangssituation aufwartende Thriller letztlich zu einem weiteren ärgerlichen TV-Movie. Wer unbedingt ein Happy-End und eine vollkommene Auflösung (auch wenn sie noch so unglaubwürdig und konstruiert ist) bei dieser Art von Filmen braucht, kann sich den Streifen anschauen; allen, die eine vielschichtig angelegte Story bevorzugen, die auch nach dem Sehen Stoff zum Nachdenken und Diskutieren bietet, kann ich nur abraten.
 Abgesehen vom eher mißratenen Inhalt bietet der Streifen sowohl darstellerisch als auch formal gewohntes TV-Mittelmaß. Die Hauptdarsteller entstammen dem bewährtem Serien-Fundus (Twin Peaks, Melrose Place, Dharma & Greg).


2001 Hannes Schwarz