Bruiser
Original-Titel: Bruiser
Herstellungsland: USA/Canada/Frankreich 2000
Regie: George A. Romero
Buch: George A. Romero
Darsteller: Jason Flemyng
Peter Stormare
Leslie Hope

Das Leben ist für den opportunistischen Langweiler Henry die Hölle: Wenn seine Frau ihn nicht gerade wegen seiner angeblichen Unzulänglichkeiten beschimpft, hüpft sie mit seinem tyrannischen Chef ins Bett, der beste Freund erweist sich als Dieb und die Hypothek auf das Haus will auch abbezahlt werden. Der Bedeutungslosigkeit seines eigenen Daseins bewußt, flüchtet er sich in Selbstmord- und Gewaltphantasien. Als er eines Morgens in den Spiegel schaut, stellt er entsetzt fest, daß er seine Identität vollkommen verloren hat: Sein Gesicht ähnelt einer weißen Maske ohne jedes persönliche Merkmal. Nachdem Henry den ersten Schock überwunden hat, beginnt er, sich an jenen zu rächen, die seiner Meinung nach für seine Misere verantwortlich sind.

[Die Anmerkungen, auf die die Zahlen in eckigen Klammern verweisen, müssen nicht unbedingt gelesen werden, um die Kritik zu verstehen. Dort greife ich Aspekte oder Szenen des Films auf, um meine Ansicht zu verdeutlichen. Allerdings wird in den Anmerkungen massiv gespoilert!]

Das neueste Werk von Kult-Regisseur George A. Romero, der seine Reputation fast ausschließlich der das Horror-Genre prägenden "Living Dead"-Trilogie verdankt, ist geradezu ein Lehrstück, wie man einen Film mit einem sehr interessantem, vielschichtigem Thema vollkommen in den Sand setzen kann. Dabei beginnt der Streifen durchaus vielversprechend. Romero nimmt sich Zeit, um den Protagonisten und sein Umfeld zu charakterisieren. In deprimierenden Bildern, von melancholisch stimmenden Saxophonklängen begleitet, wird eine Gesellschaft dargestellt, die ihre Mitglieder ausschließlich nach Äußerlichkeiten, Erfolg und Geld bewertet. Schockierende Traumsequenzen, die im ersten Moment real erscheinen, machen drastisch das in Henry schlummernde Aggressionspotential sowie seine selbstzerstörerischen Tendenzen deutlich.
Mit Henry verliert jedoch auch der Film sein Gesicht. Romero präsentiert den "Helden" nicht als gemeingefährlichen Psychopathen, der mit dem Verlust seiner äußeren Identität auch alle Hemmungen verliert und blind um sich schlägt (etwa wie ein Newsgroup-Poster ohne Realname), sondern als gerechten Rächer, dessen Opfer den Tod verdient haben. Alle "Gegenspieler" werden so unsympathisch, skrupel- und gewissenslos dargestellt, daß ihr vorzeitiges Ableben eher als Gewinn denn als Verlust für die Allgemeinheit anzusehen ist. Von der ziellosen Aggression, die sich in den Phantasien zu Anfang des Films z. B. gegen eine Frau richtet, die sich in der Schlange vordrängelt, ist nichts mehr zu spüren.
Selbst bei den Tötungsszenen bleibt der Streifen nicht konsequent. Ein Mord erscheint eher als Notwehr denn als gezielter Racheakt; ein anderer wie Totschlag aus Affekt, während ein dritter der "Befreiung" einer Freundin dient und deshalb nicht aus rein egoistischen Motiven verübt wird. "Unschuldige" Menschen werden selbstverständlich von dem Phantom verschont. So zielt Henry absichtlich daneben, als ihm ein Polizist zu nahe kommt.

Das Interesse, das sich in der ersten halben Stunde bei mir aufgebaut hatte, wich verärgerter Langeweile, weil Henrys Aktionen nicht nur vorhersehbar, sondern auch äußerst spannungs- und belanglos in Szene gesetzt wurden. Auch aus dem originellen Einfall mit der "Maske" weiß Romero nicht das geringste Kapital zu schlagen, so daß man sich fragt, aus welchem Grund er dieses Motiv überhaupt eingebaut hat. Es dient weder dazu, Henrys Identität zu verbergen, denn alle Beteiligten, die Henry gut kennen, erkennen ihn auch ohne Gesicht wieder, noch kann er sich vor der Umwelt verstecken, weil diese nach der Veröffentlichung eines Bildes nach dem Mann ohne Identität fahndet[1].
Was immer Romero auch aussagen wollte, ist vollkommen verloren gegangen. Jeglicher kritische Ansatz wird durch die Art und Weise der Inszenierung gänzlich erschlagen, zumal die Botschaft des Films reaktionären und zweifelhaften Machwerken wie z. B. "Ein Mann sieht rot"[2] entlehnt scheint. Romero hat den "Dawn"-Bonus bei mir nach "Bruiser" endgültig verspielt. Der Film ist so schlecht, daß selbst die IMDb-Bewertung von 5,5 von 10 viel zu hoch gegriffen erscheint - da retten auch die guten Darsteller nichts mehr.
Warum Romero die gesellschaftskritischen Ansätze, die nur am Anfang des Films zur Geltung kommen, fast vollkommen fallengelassen und nicht konsequent weiterverfolgt hat, ist mir ein Rätsel. Er hätte sich besser an einer Kurzgeschichte Charles Bukowskis orientieren sollen, in der ein entfernt ähnliches Thema aufgegriffen wurde[3].

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[1] Nicht mal die Möglichkeit, daß Henry sich diese "Maske" nur einbildet, ist gegeben, denn auch andere Personen nehmen Henry so wahr, wie er sich selbst sieht.

[2] Mit diesem Machwerk hat "Bruiser" sogar das Ende gemein, denn ähnlich wie in "Ein Mann sieht rot" entkommt er dem Zugriff der Polizei, um sein Werk an anderer Stelle wieder aufnehmen zu können. Anscheinend taucht die "Maske" nun jedesmal auf, wenn ein Mensch seinen Weg kreuzt, der es seiner Meinung nach nicht verdient zu leben, um nach "gerechter Bestrafung" der jeweiligen Person wieder zu verschwinden.

[3] Ein Mann stellt nach dem Aufwachen fest, daß seine gesamte Haut goldfarben gefärbt ist - mit grünen Tupfen. Getreu dem Motto "Wenn ich schon draufgehe, kann ich auch ein paar von den anderen mitnehmen" (ein Motiv, das auch in "Bruiser" aufgegriffen wird), schnappt er sich sein Gewehr und erschießt von einem Hügel aus wahllos zufällig vorbeifahrende Menschen. Als die Polizei ihn schließlich einkreist, hat sich seine Haut wieder normal gefärbt. Er ergibt sich - die Polizisten eröffnen trotzdem das Feuer (veröffentlicht ohne Titel in "Notes of a dirty old man").


2002 Hannes Schwarz