Fanfan
Original-Titel: Fanfan
Herstellungsland: Frankreich 1993
Regie: Alexandre Jardin
Buch: Alexandre Jardin
Darsteller: Sophie Marceau
Vincent Perez
Marine Delterme

you know you hurt me
you knew I was crumbled up inside
(Marla Glen: You hurt me)

Der junge Arzt Alexandre bekommt am Jahrestag seiner Verlobung mit Laure ein Paar Hausschuhe geschenkt.Alexandre sieht diese Schuhe als Symbol für den weiteren Verlauf eines Lebens, das wenig Aufregung bieten, dafür aber umso mehr von  Banalitäten und  Langeweile geprägt sein wird. Angewidert von den Alltäglichkeiten und der Routine im Zusammenleben mit Laure wünscht er sich, er könnte jenen Augenblick der ersten Begegnung mit einer möglichen Gefährtin, der Leidenschaft, Romantik und Sehnsüchte weckt, für immer festhalten. Als er während eines Besuches bei seinem väterlichen Freund Ti die Bekanntschaft der unkonventionellen und überaus sinnlichen Fanfan macht, steht sein Entschluß fest: Fanfan soll ihm die temporäre Flucht aus seinem bürgerlichen Leben ermöglichen. Niemals will er sie küssen oder gar mit ihr schlafen; jedes Treffen soll seiner Idealisierung der ersten Begegnung mit einer möglichen großen Liebe gleichen. Seine Bemühungen, Fanfan nahe zu sein, ohne jemals eine reale Beziehung mit ihr einzugehen, nehmen immer groteskere Ausmaße an, die schließlich in der Erkenntnis münden, daß er nicht nur die zum Objekt degradierte Fanfan seelisch zerstört, sondern sich selbst etwas vormacht.

Ich gebe es zu, ich sollte diesen Film nicht bewerten. Jede Äußerung meinerseits in Hinsicht auf diesen Streifen muß einem halbwegs objektivem Zuschauer absolut übertrieben erscheinen. Nach dem ersten Sehen war ich vollkommen überwältigt und konnte kaum artikulieren, was mir da gerade widerfahren war. Bisher hatte ich mich immer gerühmt, zu Bildern auf der Mattscheibe oder der Leinwand eine sehr kritische Distanz zu wahren. Ich glaubte mich immun gegen jegliche Art der Manipulation von Seiten der Filmemacher; glaubte, mich nie wirklich in einer Story zu verlieren. Beunruhigt versuchte ich meine aufgewühlte Gefühlswelt zu analysieren; mir einzureden, daß mich der Film in der falschen Situation erwischt habe. Es half alles nichts: Ich hatte mich gerade vollkommen, rettungslos, mit Haut und Haaren in eine nicht existierende, unereichbare Frau verliebt - nicht etwa in die Darstellerin, die immerhin wirklich ist, sondern in die von ihr verkörperte Persönlichkeit. Es war - neben dem unzweifelhaft erotischen, sinnlichen Auftreten der Marceau - die Art, wie diese Königin der französischen Actricen den Charakter zum Leben erweckte: An keiner Stelle des Films hatte ich das Gefühl, einer Schauspielerin zu sehen, die eine Rolle spielt, sondern glaubte, einen realen Menschen zu beobachten. Ob Freude, Trauer, Verzweiflung - all das wirkte auf mich nicht gestellt, sondern so vollkommen natürlich, als ob die Kamera nur zufällig in der Nähe gewesen wäre, um die Geschehnisse für die Nachwelt festzuhalten.
Tagelang konnte ich mich nicht von diesem fast vergessenem Zustand befreien und führte den Film kommentarlos einem guten Freund vor, um seine Reaktion zu testen und eventuell einen überfälligen Dämpfer zu erhalten. Nach Ende des Films brauchte ich nur in seine Augen zu schauen, um zu wissen, daß er gerade selbst vollkommen dem unbeschreiblichen Charme der Fanfan verfallen war (ich muß allerdings zugeben, daß ein gewisser Thomas "Jodo" Neitz bei einer späteren Sichtung des Films durchaus immun auf Sophie Marceaus Darstellung reagierte - er ordnete den Streifen als "nett, aber nicht überragend" und von meiner Seite aus absolut überbewertet ein, was wahrscheinlich den tatsächlichen Sachverhalt eher wiedergibt als meine Meinung. Die IMDb-Wertung von 6.0 entspricht seiner Einschätzung).

Ich will die offensichtlichen Schwächen des Films nicht verheimlichen. Der Ansatz ist natürlich interessant und für den einen oder anderen Zuschauer mehr als nachvollziehbar, doch wirken die Auswüchse von Alexandres Verhalten mit zunehmenden Maße unrealistischer, wenn auch amüsant. Einige Abschnitte sind zudem aufdringlich kitschig in Szene gesetzt und umschiffen manche Klischee-Klippen nur um Haaresbreite, um dann gerade gegen Ende des Films mit voller Wucht auf eben diese aufzulaufen.
Gelungen ist meiner Meinung nach die Balance aus Komödie, Drama und nachvollziehbarem Portrait der Hauptpersonen. Mancher überambitionierte Filmemacher hätte aus dem Thema ein verkopftes, klinisch totes Kunstprodukt geschaffen, das den Zuschauer mit endlosen Reflektionen und Symbolik erschlagen und jeglicher Identifikationsmöglichkeit beraubt hätte. Nicht so der französische Filmemacher Alexandre (sic!) Jardin, der auf erfrischende Weise den an sich nicht ganz leichten Stoff so locker-lässig angeht, als filme er eine vollkommen durchschnittliche Komödie. Allerdings gerät er dabei niemals in die Gefahr, seine Protagonisten zu vernachlässigen bzw. ihre Beweggründe zu vergessen - diese Disziplin beherrschen französische Filmemacher anscheinend spielend, während die deutschen Konkurrenten trotz intensiven Trainings und Analyse des Laufstils des Gegners immer über die aufgestellten Hürden zu stolpern scheinen (nicht direkt vergleichbar, aber doch ähnlich ging auf deutscher Seite nur Sönke Wortmann in "Kleine Haie" mit seinen 'Helden' um - er verspielte sich aber später jeden Bonus, indem er A. C. Lazars Mutter in einem seiner Werke nicht nur eine Sprech-, sondern sogar eine Hauptrolle gab).
Trotz seiner psychopathischen und eigentlich kriminellen Anwandlungen hegt man Mitgefühl mit Alexandre (dargestellt von Victor Perez, der von Frau Marceau gnadenlos an die Wand gespielt wird), weil seine Intentionen glaubhaft bleiben (zumindest für jeden, dem der größte Feind der Liebe in Form des Alltags in seiner todbringenden, abstoßenden, jede Auflehnung im Keim erstickenden und trotzdem unscheinbaren Gestalt erschienen ist). Gegen Ende tappt der Film jedoch in die bereits erwähnte Klischeefalle, indem er Alexandres Abneigung gegen eine banal-triviale Beziehung mit einer aus traumatischen Kindheitserlebnissen resultierenden Bindungsangst erklären will, anstatt sie auf persönliche Erfahrungen zurückzuführen. Eines der schönsten Erlebnisse im Leben eines Menschen ist nun einmal die Zeit der Verliebtheit, wenn er glückstrunken durch die plötzlich wunderschön und seltsam befremdend neu erscheinende Umwelt taumelt; bereit, ein komplettes unbekanntes Universum voller Geheimnisse, Gefahren und Verlockungen zu erobern, um im nächsten Moment von den sich wie ein tollwütiger Hund in die Seele beißenden Zweifeln, ob das schmerzhaft begehrte Wesen jemals die eigenen Gefühle erwidern wird, geplagt zu werden (und wenn ihr mich fragt, ist das besser als Sex, besser als jeder geistige Orgasmus - sogar besser als ein die Sinne in jeder Hinsicht anregende Film).
Folgend dieser Inkonsequenz geht der Film denn auch ungefähr drei Minuten zu lang. Als bekennender Pessimist hätte ich das eigentliche Ende der Geschichte weggelassen und mit den passenden Klängen von Marla Glens "You hurt me", denen ich während der Abfassung dieser Glorifizierung lausche, ausklingen lassen - als Statement, wohin fehlende Kompromißbereitschaft bzw. Rücksichtsnahme auf die Gefühle des Partners führen können, auch wenn dies den einen oder anderen zartbesaiteten Zuschauer schockiert hätte (eine Argumentation, die unterstellt, ich würde Alexandre sein Glück nicht gönnen, nachdem er die arme Fanfan eineinhalb Stunden gequält hat, weise ich weit als vollkommen unbegründet und keinesfalls belegbar von mir). Für einen romantischen Filmabend mit Freundin taugt der Film eh nicht, da unter Umständen Eifersucht und / oder Verlustängste bei der Partnerin geweckt werden könnten.

Scheisse! Warum kann er nicht normal sein? Aber wenn er normal wäre, würde er mich nicht interessieren!

Fanfan ist natürlich das Idealbild der unkonventionellen Frau. Stillstand liegt ihr nicht; sie ist spontan, impulsiv, hält nicht mit ihrer persönlichen Meinung zurück und genießt teilweise die absurden Augenblicke, in die sie dank Alexandre gerät. Sie ist das absolute Gegenteil jenes Typus Frau, die einen Mann mit Floskeln wie "Ich weiß nicht!", "Entscheide Du!", "Du weißt genau, was los ist!", zuerst in Schuldgefühle und dann, aufgrund ihres tagelangen Schmollens, weil er nicht erraten hat, was in ihrem hübschen Kopf vorgeht, entweder in die Psychatrie, den Suff, in den Selbstmord, in die Arme einer anderen Frau oder auch in alle erwähnten Möglichkeiten zusammen treiben kann (wobei die Reihenfolge nicht zwingend der beschriebenen gleichen muß und durchaus variieren kann).
Ich bin trotz aller Verliebtheit nicht blind genug, um zu erkennen, daß Fanfan ein gängiges Klischee des wirklichen Lebens erfüllt: Wäre Alexandre kein unnahbares Arschloch, würde sie ihn wahrscheinlich um den Finger wickeln, verführen und verlassen. Je öfter er sie allerdings im Regen ihrer Gefühle stehen lässt, je weniger er ihr von seinem Innenleben offenbart, desto mehr steigert sich ihr Interesse an seiner Person. Wie sie schließlich vorgeht, um ihr Ziel zu erreichen, erscheint typisch skrupellos weiblich - und die schließlich aus ihrer Verhaltensweise resultierende Ohrfeige ist trotz aller Ablehnung von Gewalt gerechtfertigt.
Um aus diesem engelsgleichen Dämon ein lebendiges Wesen zu machen, braucht es eine Ausnahmeschauspielerin mit der Ausstrahlung einer Göttin - und die, meine lieben hormongeplagten Mitstreiter und -leser, besitzt keine Dunst, keine Gellar, keine Witherspoon und schon gar keine Cruz. Selbst die Damen Hayek und Theron verblassen im gleissend hellen Licht, das aufstrahlt, sobald Sophie Marceau die Bühne betritt. Durch sie wird für mich "Fanfan" erst zum Symbol für das eigentliche  Wesen der Lichtspiele in ihren besten Momenten. Filme sollten verführen, berühren, Denkanstöße geben, Phantasien wecken, andere Welten offenbaren, zur Reflektion bewegen. Nach meiner Erfahrung hinterlassen nur solche Filme einen wirklichen Eindruck, die im tiefsten Inneren bewegen; nicht nur den Kopf, sondern vor allem die Gefühlswelt anregen. Aus dieser Perspektive gesehen ist "Fanfan" für mich der absolute Film.

So, jetzt könnt ihr mich wieder einweisen.


2002 Hannes Schwarz