> The Insider The Insider
Original-Titel: The Insider
Herkunftsland: USA 1999
Regie: Michael Mann
Buch: Eric Roth
Michael Mann
Darsteller: Al Pacino
Russell Crowe
Christopher Plummer
Diane Verona
Phillip Baker Hall

Al Pacino gelingt es in der Rolle des engagierten Journalisten Lowell Bergman, einen "Insider" der Tabakindustrie zu einem Interview zu bewegen, in dem die Manager eines großen Tabak-Konzerns bezichtigt werden, einen Meineid geleistet zu haben: Jeffrey Wigand (grandios: Russel Crowe) behauptet, daß die Führung der Tabak-Industrie entgegen ihrer Behauptungen sehr wohl über die süchtigmachenden Stoffe in Zigaretten informiert sei und sogar noch die Wirkung des Nikotins verstärke, um auf diese Weise den Absatzmarkt zu sichern. Der Konzern schlägt zurück: Wigand sieht sich einer Schmutz- und Einschüchterungskampagne ausgesetzt, die seine Ehe und gesellschaftliche Existenz zu zerstören drohen.

"The Insider" von "Miami-Vice"-Produzent Michael Mann, der uns schon "Heat" und "Manhunter" bescherte, zeigt eindrucksvoll, welche Macht Wirtschaftskonzerne besitzen: Mit Methoden, die man nur als "mafiös" bezeichnen kann, werden Zeugen eingeschüchtert, ihre Existenz vernichtet; Politiker unter Druck gesetzt oder Berichterstattungen verhindert.
Das brisante Thema ist allerdings nur ein Teilaspekt des Films. Statt einen herkömmlichen Thriller und platte Stereotypen als überlebensgroße "Helden" zu präsentieren, lässt sich Mann viel Zeit mit der Charakterisierung seiner Protagonisten:

Auf der einen Seite haben wir da Russell Crowe als Dr. Jeffrey Wigand, einen liebevollen Familienvater, dem das Wohl seiner Kinder und seiner Frau über alles geht. Er erinnert mich ein wenig an die armen Kerle, die in der Schule von den anderen Kindern gehänselt werden (eventuell ist das der Grund, warum er es nicht ertragen kann, herumgeschubst oder von oben herab behandelt zu werden). Unsicher, zurückhaltend, geradezu ängstlich stolpert er durch die Welt; selbst seine Wutausbrüche haben etwas lächerliches, wirken eher unangenehm als bedrohlich oder einschüchternd.
Seine Frau ist alles andere als eine große Unterstützung. Natürlich kann man ihre Sorge um die Kinder verstehen; natürlich versteht man den Druck, unter dem auch sie steht. Ihr erster Gedanke, als sie erfährt, daß ihr Mann gefeuert ist, dreht sich allerdings um finanzielle Dinge, dann um die Kinder; zu fragen, wie es ihm geht, fällt ihr erst zu spät ein. Als Wigand sie am meisten braucht, muß er durch einen Brief von der Trennung erfahren. Die zunehmende Verzweiflung über den Verlust seines bisherigen Lebens drückt Crowe nicht nur mimisch, sondern mit dem ganzen Körper aus; ein gebrochener Mann, der dafür bestraft wird, die Wahrheit gesagt zu haben.

Demgegenüber steht Pacino als erfahrener Journalist Lowell Bergman. Er ist ein Workaholic; Stillstand liegt ihm nicht. Er nimmt lieber alles selbst in die Hand, statt zweitklassige Arbeit abzuliefern. Noch im Bett beginnt sein Arbeitstag mit geschäftlichem Telefonaten. Obwohl er für die große amerikanische Fernsehgesellschaft CBS arbeitet und sehr viel Geld verdient, ist er immer noch Idealist, der an die Bedeutung seiner Arbeit glaubt. Trotz aller Erfahrungen in seinem Job steht der Mensch für ihn im Mittelpunkt. Er nimmt als einer der wenigen den Kampf um die Wahrheit auf - selbst wenn das den guten Ruf oder gar die Existenz seines Senders vernichten sollte und bemüht sich, seinen Informanten zu schützen. Schließlich muß er sich entscheiden, ob er sein Leben wie gewohnt weiterführen möchte.
Wenigstens er hat eine Frau, die hinter ihm steht (allerdings muß man dabei bedenken, daß sie im Gegensatz zu Wigands Frau selbst einen lukrativen Job zu haben scheint und Pacino letztlich weniger zu verlieren hat).

Michael Mann fängt die beiden unterschiedlichen Charaktere in wunderschönen, teilweise dokumentarisch wirkenden Bildern ein. Wie schon bei "Heat" offenbart sich eine Detailbesessenheit, die einen großartigen Regisseur für mich auszeichnet. Mann verlässt sich oftmals auf das darstellerische Können der Darsteller und die Ausdruckskraft seiner Bilder, um Stimmungen der Protagonisten zu vermitteln und fügt keinen erklärenden Dialog hinzu (z. B. in einer Szene, als Crowe auf der Rückfahrt von einer Zeugenaussage in den heimischen Staat zurückkehrt. Auf dem Rücksitz sitzend erspäht er neben sich einen Polizeiwagen, dessen Beifahrer in kritisch mustert. Crowe weiß, daß er für seine Zeugenaussage belangt werden kann, weil er gegen eine Klausel seines Arbeitsvertrages verstossen hat. Bekümmert und verzweifelt senkt er den Kopf, weil er dem Blick des Polizisten nicht standhalten kann. Der mitfühlende Zuschauer kann erahnen, welcher Art seine Gedanken in diesem Augenblick sind - der unbescholtene Mann muß jetzt Angst haben, vom Arm des Gesetzes verfolgt zu werden).
Es gibt unzählige Kleinigkeiten, die Rückschlüsse auf den Werdegang bzw. den Charakter der einzelnen Personen schließen lassen. So regt sich Pacino in einer Unterredung über Gebühr auf, als er auf seinen Vater angesprochen wird. Ferner erleben wir Pacinos Ungeduld, als er auf das erste Telefonat mit Wigand wartet. Unruhig trommelt er mit den Fingern auf dem Tisch, schmeißt seine Brille achtlos weg und läuft ziellos im Raum herum, wobei er nach etwas Ausschau hält, mit dem er sich beschäftigen kann. Die großartige Darstellung und die sensible Art der Inszenierung sind denn auch ein Grund für mich, mir diesen Streifen noch mehrmals anzusehen.

Der Film selbst teilt sich in zwei Akte: In der ersten Hälfte beschäftigt er sich ausführlich mit Wigands Entwicklung; zeigt anschaulich, welchem Druck er ausgesetzt ist und aus welchen Gründen er sich schließlich entschließt, das folgenschwere Interview zu machen. Pacino ist präsent, bleibt aber im Hintergrund. Wenn man Crowe bisher nur aus "Gladiator" und "L. A. Confidential" kennt, erlebt man eine Überraschung: Crowe ist vollkommen anders als in den angemerkten Filmen - und das liegt nicht nur an der Maske, sondern auch an seiner gesamten Mimik und Bewegung. Selten hat mich die Wandlungsfähigkeit eines Schauspielers so begeistert.
Im zweiten Teil schließlich fokussiert Mann auf dem Charakter des Producers Bergman und zeigt Pacinos Kampf gegen seinen eigenen Sender und um den Ruf seines Informanten. Blieb Pacino im "ersten Akt" etwas hinter meinen Erwartungen (was die Präsenz betrifft) zurück, darf er jetzt voll aufdrehen. Natürlich ist seine Darstellung nichts neues, denn von Pacino ist man hervorragendes schauspielerisches Können gewohnt. Es war für mich ein Genuß, den Mann nach eher "kleineren" und unbedeutenderen Rollen ("City Hall", "Devil's Advocat") wieder in einem etwas größeren Rahmen zu sehen.

Die Machart von "Insider" ist für mich geradezu die Antithese zur populären Bruckheimer-Stilistik: Die Geschichte und Charaktere haben Zeit, sich zu entwickeln; die Farbgebung ist stilisiert, ohne dabei aufdringlich zu wirken, die Hauptpersonen sind echte Menschen und keine stereotypen Abziehbilder; die Kamera ist ruhig; ferner wird auf eine platte Manipulierung der Emotionen des Zuschauers verzichtet.

Ich kann "Insider" nur jedem Filmfan empfehlen. Erstmals seit einiger Zeit (wahrscheinlich seit "Fight Club") hatte ich das Gefühl, einen wirklich herausragenden Film zu sehen. Wer also großes Schauspielerkino mag und den Film noch nicht kennt, sollte auf jeden Fall in der Videothek diesen Streifen in die nähere Auswahl nehmen. Im Grunde fällt mir nur ein größerer Kritikpunkt ein: Gina Gershons Rolle hätte ruhig etwas größer ausfallen können.

Anzumerken ist noch, daß "Insider" auf wahren Begebenheiten beruht. Die Charaktere sind weder erfunden noch wurden ihnen Phantasienamen verpasst. Als Product-Placing wird man die Nutzung des CBS-Logos kaum ansehen können, denn neben der Tabak-Industrie kommt auch dieser Konzern nicht gerade gut davon.
Trotz siebenfacher Oscar-Nominierung ging der Streifen leer aus; statt dessen räumte "American Beauty" den Award 2000 ab.
Wen die Musik in Teilen an "Gladiator" erinnert, sollte sich nicht wundern, denn der Soundtrack stammt u. a. von Lisa Gerrard.


2001 Hannes Schwarz