Die Schrecken der Medusa
Original-Titel: The Medusa Touch
Herstellungsland: UK / Fr 1978
Regie: Jack Gold
Buch: John Briley
Darsteller: Richard Burton
Lino Ventura
Lee Remick
Harry Andrews
Gordon Jackson

Ein Mann sitzt im Halbdunkel vor seinem Fernseher und betrachtet die mißglückte Mondlandung, die als erste Weltraumkatastrophe in die Geschichte der Menschheit eingehen wird. Eine Person klopft an die Tür ("Es ist offen!") und betritt den Raum. Provoziert von den Aussagen des Mannes vor dem Fernseher wirbelt sie ihn auf seinem Stuhl herum ("Ah! Endlich eine Reaktion!"). Eine Hand greift sich eine Statue, holt aus - die Statue fährt auf die Kamera zu - immer und immer wieder - Blut spritzt auf den Fernseher, wo der Kommentator bereits einen Nachruf auf die Insassen der Mondkapsel abgibt. Die Kamera gleitet über die Wohnzimmerwand, wo sie schließlich eine Darstellung der Medusa erfasst.

Der französische "Austausch"-Kommissar Brunel (dargestellt von Lino Ventura) betritt die Szene. Bald wird er England verlassen; dies ist sein letzter Fall. Brunel sucht mit seiner Crew nach Indizien; findet das Tagebuch des Toten, während seine Kollegen peinliche Witze reißen. Das Opfer Morlar liegt auf dem Boden mit eingeschlagenem Schädel; die Verletzungen sind absolut tödlich. Ein Polizist betrachtet den Toten; wird plötzlich nervös: Der vermeintlich Tote beginnt zu atmen. Trotz schwerster Gehirnverletzungen ist er nicht tot, die Ärzte stehen vor einem Rätsel.

Morlar (Richard Burton) beschrieb in seinen Büchern sehr realistisch, wie die Politik dieser Welt funktioniert - damit gibt es viele Verdächtige und der Fall wird so brisant, daß Brunel vom Polizeichef selbst auf die Wichtigkeit der Aufklärung hingewiesen wird. Ventura sucht den Psychiater Zonefeld auf. Während der Fahrt wird der Wagen umgeleitet; ein Jumbo-Jet ist über London abgestürzt. Brunel ist erstaunt, daß Zonefeld (Lee Remick) eine durchaus attraktive Frau ist. Er erfährt von Zonefeld, daß Morlar sich für verschiedene Todesfälle in seiner näheren Umgebung verantwortlich fühlt: Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen; ein Lehrer nebst 13 Schülern verbrannte in seinem Internat.

Brunel fühlt, daß der Täter im nächsten Umkreis des Opfers zu suchen ist. Die Tagebucheinträge ("West-Fassade") kann er ebensowenig deuten wie die plötzlich zunehmende Hirnaktivität des Opfers. Die Überführung des Täters ist schließlich zweitrangig, denn Morlars Überzeugung, Auslöser für verschiedene Katastrophen zu sein, scheint sich zu bewahrheiten - die "West-Fassade" erweist sich als äußerst brüchig und die Gehirnaktivitäten Morlars nehmen von Stunde zu Stunde zu...

[Vorsicht! Die Kritk enthält einige Spoiler]

Der Fernseh-Regisseur Jack Gold legte hiermit seinen Kino-Erstling vor und suchte sich ausgerechnet das Buch von Peter van Greenaway aus. Das Drehbuch tilgte manches von dem paranoid anmutenden Material und zeichnete die Figuren um: Aus dem ermittelnden Kommissar wurde ein Franzose (notwendig, weil wir es hier mit einer britisch-französischen Koproduktion zu tun haben); aus dem männlichen Psychiater eine Frau. Viele Dinge wurden ganz weggelassen: Im Buch ist der Bestseller-Autor in keiner Bibliothek der Welt vertreten, weil "SIE" alle Bücher aufkaufen, um ein Bekanntwerden der Theorien Morlars (die übrigens absolut kryptisch beschrieben werden, so daß kaum jemand die Bücher überhaupt lesen würde) zu verhindern.

Trotz (oder gerade wegen) der Änderungen macht der Film seine Sache erstaunlich gut. Burton tritt nur in Rückblenden auf (wir erinnern uns: Ihm wird zu Anfang der Schädel eingeschlagen und folglich liegt er in einer Art Koma, obwohl seine Gehirnaktivität stündlich zunimmt). Burtons Charisma ist intensiv; sein "tödlicher" Blick ist gänsehauterregend. So jemandem möchte man nicht in die Augen schauen. Hier gibt es keine Spezial-Effekte; Burtons Blick reicht aus, um dem Zuschauer zu versichern, daß der Kandidat dem Tode geweiht ist. Morlar wird durch Burtons Darstellung greifbarer als in der literarischen Vorlage, denn er weckt Sympathien; trotz allem Zynismus wird hier eine verzweifelte Person offenbar, die der Zuschauer mögen kann. Als seine Frau ihn niedermacht, empfindet der Zuschauer das fast als Sakrileg; so darf man nicht mit einem solchen Mann sprechen; er ist überlegen; er ist eine Autorität; er ist ein verdammter Held (und ihr Tod erscheint als verdient).

Bis zu diesem Punkt ist Morlar sympathisch; seine Reaktionen erscheinen unausweichlich. Die Eltern haben den Tod genauso verdient wie sein Lehrer oder die Ehefrau. Hinzu kommt noch, daß Morlar selbst an seiner Fähigkeit zweifelt (oder vielmehr den Freispruch von einer Mitschuld möchte). Der skeptische Zuschauer möchte Morlar zuschreien, daß er nur Schuldgefühle habe, die auf zufälligen Ereignissen beruhen - ein Wagen mag sich bewegen und Menschen von einer Klippe schleudern; ein Internat kann abfackeln; eine untreue Ehefrau mag bei einem Unfall sterben - selbst die hysterische Ehefrau von nebenan mag sich durch ein wütendes hingeworfenes "Frau, spring schon!" aus dem Fenster stürzen.

Eine Jumbo-Katastrophe mit Ankündigung ist allerdings nicht so leicht zu erklären.

Ab dieser alptraumhaften Szene weiß der Zuschauer, daß Morlar kein Spinner ist (mal ganz davon abgesehen, daß dieses merkwürdige Gehirn immer noch weiterarbeitet, obwohl der größte Teil auf einem Teppich verteilt wurde). Auch Morlar begreift in dieser entsetzlichen Szene, welche Macht er wirklich besitzt. Jetzt beginnt man sich wirklich Sorgen um die "West-Fassade" zu machen - und diese Sorge ist nicht unbegründet. "Ich bin das Werkzeug, daß Gott die Drecksarbeit abnimmt" sagt Morlar und hat seinen Platz in der Gesellschaft gefunden. Brunel mag die Wahrheit begreifen, er mag nach seinem Erlebnis mit der West-Fassade die lebensrettenden Maschinen von Morlar abschalten - trotzdem kritzelt dieser auf einen schnell herbeigelegten Notiz-Block im Augenblick des Todes noch das Wort "Windscale" - der Ort, an dem Demonstranten gegen das dort ansässige Atomkraftwerk demonstrieren - und dann beginnt Morlars Gehirn wieder zu arbeiten....

Ich habe eine Menge Horror-Filme gesehen. Ich habe gesehen, wie Gehirne auf dem Boden verteilt werden, Köpfe in alle Richtungen platzen oder das Hirn aus dem Schädel gedrückt wird. Trotzdem ist der Anblick von Morlar, der mit eingeschlagenem Schädel im Krankenhaus liegt, für mich immer noch ziemlich heftig. Hier wird nichts explizit gezeigt, sondern nur angedeutet. Die Mullbinden um den Kopf reichen mir bereits, um mich unbehaglich zu fühlen.

Genauso unbehaglich fühle ich mich, als die Lebensgeschichte von Morlar ausgebreitet wird: Man möchte um den Mann weinen, der so brilliant ist und durch die Umstände gezeichnet wird. Sein Baby stirbt, weil es eine Mißgeburt ist. Seine Frau kränkt ihn auf die mieseste Art, die ich mir vorstellen kann ("Mein Vater hatte recht: So jemand wie Du kann nur eine Mißgeburt hervorbringen!"). Dann kommt die Jumbo-Jet-Katastrophe (und man nimmt Burton in dieser Szene ab, daß er einen Jet zur Erde dirigieren kann) und in dieser Szene wird man herumgerissen: Dieser Mann ist ein Monster; seine Verhaltensweise ist erklärbar, aber er muß vernichtet werden. Ventura ist noch schlimmer dran: Er mag den Täter, denn sie ist nicht nur sympathisch, sondern auch attraktiv. Wer würde außerdem kein Verständnis für jemanden aufbringen, der eine Katastrophe miterlebt und eine andere verhindern möchte? Als die West-Fassade einstürzt, ist jeder Zweifel aus der Welt geräumt. In dieser Szene möchte man einerseits fast jubeln, denn Morlar hat nicht unrecht, allerdings schlägt das Grauen jedes euphorische Gefühl tot: Man sieht, wie Menschen sterben; man hat keine Distanz. Zu einem der Opfer hat man mittlerweile eine Beziehung aufgebaut; das Blut, welches über die toten Steine spritzt, tut ebenfalls seine Wirkung.

Die letzte Szene ist auf ihre eigene Weise die aufwühlendste. Als "Medusa Touch" gedreht wurde, hatte man noch keine Ahnung von Tschernobyl. Tschernobyl hingegen ist auch für die meisten Leute hier sehr weit weg. Wieviel schlimmer ist es, einen SuperGAU in nächster Nähe zu wissen - ausgelöst von einem Mann, der sich für das Werkzeug Gottes hält?

"Medusa Touch" ist brilliant. Selten kann man das wahre Gesicht des Horrors so gut erkennen wie in diesem Film. Dabei verzichtet die Darstellung fast vollkommen auf irgendwelche Special-Effects-Mätzchen. Morlar strahlt keine Blitze aus (es gibt auch nicht die beunruhigenden Geräusche aus dem anderen großen "Telekinese"-Film namens "Scanners" von D. Cronenberg - diesen Film werde ich an anderer Stelle entprechend würdigen); Burton überzeugt einfach durch seine Anwesenheit, auch wenn er hier nur einen begrenzten Teil seines Könnens preisgeben darf. Der Film ist perfekt inszeniert; ich habe da keinerlei Einwände.

Was mich allerdings ein wenig stört: Morlar denkt, er wäre ein Werkzeug Gottes, "das diesem die Drecksarbeit abnimmt". In manchen Szenen des Filmes kommt durchaus Sozialkritik auf. Ich habe mich beim letzten Ansehen ein wenig gefragt, welche Intention hinter dem Film steckt. Vom fundamentalistischen Standpunkt aus gesehen könnte Morlar wirklich ein Werkzeug Gottes sein, daß die "Sünder" für die Vergehen bestraft und die Welt in die prophezeite Vernichtung führt. Ich habe keinen Grund gefunden, der diese Ausdeutung widerlegt (obwohl ich der Meinung bin, daß dies fern der Intention des Regisseurs lag). Diese Auslegung ist natürlich nur interessant, wenn man die Argumentationsgrundlage der christlichen Spinner heranzieht; ansonsten sollte man sofort diesen Absatz vergessen.

Abgesehen von meiner obigen Deutung halte ich "Medusa Touch" für den perfektesten aller "Brain-Killer"-Filme. "Scanners" von Cronenberg war expliziter (und die Head-Crunch-Szene sucht immer noch ihresgleichen); Brian de Palmas "The Fury" mag 'wissenschaftlicher' erscheinen, doch erreichen beide Filme nicht die Intensität von "Medusa". Das mag natürlich am wirklich bösen Ende liegen (und es erscheint im Gegensatz zu vielen anderen Horrorfilmen unausweichlich und global; es wird durch die Story gerechtfertigt und gibt ihr eine erweiterte Perspektive. Hier wird keinesfalls auf eine Fortsetzung spekuliert, denn danach gibt es nichts mehr, was man fortsetzen könnte - übrigens ist das auch das Ende des Buches; also bleibt man hier sehr nah an der Vorlage wie im Grunde beim gesamten Film); zum anderen natürlich an der sorgfältig ruhigen und sparsam inszenierten Regieführung von Jack Gold, der dem Zuschauer die Geschichte praktisch in Häppchen vorwirft und es schafft, ohne sichtbare Übertreibungen die Geschehnisse für den Zuschauer absolut beunruhigend wirken zu lassen (mir fehlen hier ein wenig die Worte, weil der Film wirklich sehr sparsam mit den üblichen Mitteln vorgeht). Es werden darüberhinaus ein paar Dinge angesprochen, die durchaus zum Nachdenken anregen (z. B. warum Morlar ausgerechnet die West-Fassade einstürzen lässt - natürlich ist dieses Motiv aus dem weitergehenden Buch übernommen; trotzdem trägt Morlar im Film seine Intention sehr überzeugend vor).

Hervorzuheben wäre der superbe Soundtrack. Das beunruhigende Thema tritt teilweise in Szenen auf, denen man nur aufgrund der Musik besondere Beachtung schenkt (und natürlich trotzdem beim ersten Male nicht ganz versteht; es sei denn, man hat diese Glorifizierung gelesen). Auch in dieser Hinsicht haben die Filmschaffenden perfekt gearbeitet.


2001 Hannes Schwarz