Das Millionenspiel
Original-Titel: Das Millionenspiel
Herstellungsland: BRD 1970
Regie: Tom Toelle
Buch: Tom Toelle
Wolfgang Menge
Darsteller: Jörg Pleva
Dieter Thomas Heck
Dieter Hallervorden

Eine Spielshow der Zukunft: Seit 7 Tagen wird Bernhard Loetz von drei Killern gejagt. Täglich muß er bestimmte Kontrollpunkte passieren, um eine Chance auf den Gewinn in Höhe von 1.000.000,- DM zu haben. Kameraleute sind ihm immer dicht auf den Fersen; bemüht, dem Zuschauer das beste Bild zu liefern. Die Bevölkerung beteiligt sich begeistert am "Millionenspiel". Manche Menschen helfen dem Kandidaten und bekommen ihre 15 Minuten Ruhm, während andere den Denunzianten spielen. Am Abend wird sich entscheiden, ob Loetz als Sieger oder Leiche aus dem Spiel hervorgeht.

1970 schuf Tom Toelle mit "Das Millionenspiel" ein ebenso bemerkenswertes wie seinerzeit umstrittenes Fernsehspiel. Lizenzstreitigkeiten mit Robert Sheckley und seinen Erben verhinderten über 30 Jahre hinweg eine Wiederholung der Sendung, weil Toelle und sein Mitautor Wolfgang Menge sich nur allzu nahe an Sheckleys Kurzgeschichte "Der Tod spielt mit" orientierten, ohne je dessen Erlaubnis eingeholt denn Tantiemen abgeführt zu haben.
Die damalige Reaktion der Zuschauer war gewaltig: Hunderte riefen während und nach der Ausstrahlung beim WDR an und machten ihrem Unmut über das Gezeigte Luft, während sich andere sowohl als Kandidaten als auch als Jäger bewarben. Von vielen Zuschauern wurde das halbdokumentarische Spiel trotz der eindeutigen satirisch-parodistischen Überhöhungen nicht als Farce erkannt.
Aus heutiger Sicht wirkt manches an der Gestaltung der Fernsehshow altbacken und überholt. Weder Aufmachung des Studios noch Gestaltung des Ablaufs entsprechen heutigen Standards. Die "Werbeeinblendungen" des einzigen Sponsors der Sendung sind nur sehr kurz; das Vokabular des Moderators (vortrefflich und überzeugend: Dieter Thomas Heck) scheint ebenfalls nicht zeitgemäß. Dies fällt jedoch nicht weiter ins Gewicht, denn natürlich konnten die Macher nicht in jeder Hinsicht unsere heutige Fernsehlandschaft bzw. Gesellschaft mit technologischen Errungenschaften wie Internet oder 0190-Nummern vorausahnen. Viel wichtiger sind jene Aspekte, in denen "Das Millionenspiel" ein sehr nahes Bild der heutigen Fernsehunterhaltung zeichnet. Der Kandidat verkommt zu einem reinen Produkt der Mediengesellschaft, das die ihm von Produzenten zugedachte Rolle zu erfüllen hat. Ist die Einschaltquote bedroht, wird manipulierend in das Spielgeschehen eingegriffen, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Vordergründig wird Anteilnahme vorgegaukelt, während das Geschehen hinter den Kulissen zeigt, daß dies lediglich Geschäft ist und der Gewinnmaximierung dient. Gleichzeitig bietet das Spiel dem Zuschauer eine Bühne, indem er "interaktiv" in das Spiel eingreifen darf und für seinen Einsatz mit einem Fernsehauftritt belohnt wird. Wenn man diese im Film sehr klar herausgearbeiteten Aspekte mit einer modernen Unterhaltungsmaschinerie wie z. B. "Big Brother" vergleicht, wird deutlich, daß die Realität nicht nur die Fiktion eingeholt, sondern in Teilen sogar übertroffen hat. Selbst die Werbeeinblendungen, die formal zwar nicht mit heutigen Spots vergleichbar sind, geben trotz Überspitzung das Tagesgeschäft der Moderne wieder. Sie konzentrieren sich in der Hauptsache auf Äußerlichkeiten und Sex, schwelgen in teilweise ästhetisierten, inhaltsleeren Bildern und sind an Dummheit kaum zu überbieten.
"Das Millionenspiel" ist ein Spiegelbild aus der Vergangenheit, das, wenn auch verzerrt, die Gegenwart deutlich erkennbar reflektiert und so nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. In diesem Spiegel findet sich auch ein Publikum wieder, das medial wohl erzogen nach immer neuer Stimulanz giert und sich willig manipulieren lässt.
Auch wenn manche Einfälle bzw. Szenen nicht sehr stimmig erscheinen, ist "Das Millionenspiel" nicht nur von der Aussage, sondern ebenfalls von der formalen bzw. dramaturgischen Gestaltung her ein interessanter, unterhaltsamer und in Teilen sehr amüsanter Film, dessen Ende auch heute noch recht hart erscheint.
Die Darsteller, allen voran Dieter Thomas Heck, der wirkt, als würde er seine Rolle absolut genießen, machen ihre Sache gut. Dieter Hallervorden als Anführer der Killerbande ist keineswegs - wie ich befürchtet hatte - unfreiwillig komisch, allerdings hat er auch nicht viel Text. In Nebenrollen sind Arnim Basche und Heribert Fassbender als Reporter zu sehen.
Unverständlich ist mir, daß der WDR es nicht für nötig erachtete, den Film bei seiner ersten Wiederauführung seit 30 Jahren in einem würdigen Rahmen zu präsentieren. Weder im Anschluß noch vor der Sendung gab es eine Dokumentation, die Hintergründe beleuchtete und die kreativen Köpfe hinter dem Film zu Wort kommen ließ. Statt dessen wurde gegen Ende der Ausstrahlung der Hinweis eingeblendet, daß sich die nachfolgende Sendung verschiebe - wie zynisch, daß diese Sendung den Titel "Das Massengrab im Sauerland" trug.


2002 Hannes Schwarz