> Session 9 Session 9
Original-Titel: Session 9
Herstellungsland: USA 2001
Regie: Brad Anderson
Buch: Brad Anderson
Stephen Gedevon
Darsteller: David Caruso
Stephen Gedevon
Peter Mullan

- Where does the Princess live?
- She lives in the tongue... she's talking all the time!

Fledermausförmig ragt der Bau des ehemaligen "Danvers State Hospital" aus der Landschaft. Die über 2.000 psychisch kranken Patienten haben das Gebäude längst verlassen, die Gänge und Räume sind leer, lediglich Überreste der Gerätschaften zeugen von dem früheren Verwendungszweck des monströsen Gebildes. Wände und Decken sind voller Asbest; ein Abriß kommt jedoch nicht in Frage, weil das ehemalige Krankenhaus unter Denkmalschutz steht.
Gordon muß für seine Frau, sein Neugeborenes und seine Angestellten sorgen, deshalb veranschlagt er für den Abbau und die Entsorgung der verseuchten Elemente, die normalerweise drei Wochen in Anspruch nehmen würde, gerade einmal sieben Tage, um den Job zu erhalten. Die Mitarbeiter haben ihre eigenen Probleme: Phil hasst Hank, weil der ihm seine Freundin ausgespannt hat. Mike wäre lieber Anwalt, schafft aber die Prüfung nicht. Verstärkung für die Knochenarbeit bekommen sie von Gordons Neffen Jeff, der sich vor der Dunkelheit fürchtet.
Mike findet während der Abbrucharbeiten im Keller einen Karton mit Tonbandspulen. Sie enthalten Aufnahmen der Sitzungen zwischen einem Psychiater und dessen Patientin Mary, deren Bewußtsein in drei weitere Persönlichkeiten aufgespalten ist. Mary kennt ihre Alter Egos nicht. "Princess" jedoch weiß von "Billy", und "Billy" hat furchtbare Angst vor "Simon". In den Tagen, in denen Mike in Pausen und nach Feierabend die Bänder abhört, gerät die Situation zwischen den ungleichen Männern zusehends außer Kontrolle. Auf dem mit "Session 9" bezeichneten Band begrüßt die Stimme von "Simon" schließlich den Doktor: "Hello... Doc!"

- Where do you live, Billy?
- I live in the eyes... 'cause I see all!

"Session 9" ist das Gegenstück des kommerziellen modernen oder auch klassischen Horrorfilms: Statt auf stereotypen Jugendlichen fokussiert der Plot fast ausschließlich auf fünf erwachsenen Männern, die die magische Altersgrenze von 30 bis auf eine Ausnahme längst hinter sich gelassen haben. Keine Selbstironie durchbricht die düstere Story, keine maskierten Killer verfolgen leicht geschürzte Mädchen mit Modelmaßen durch dunkle Gänge. Der minimalistische Soundtrack bietet keine schmissigen Songs, die auf einem Merchandising-Album veröffentlicht werden könnten. Trotz der gigantischen Kulisse des realen "Danver State Hospitals" verzichtet der Regisseur auf bekannte "Haunted House"-Mätzchen wie wehende Vorhänge oder knarrende Türen, die unvermittelt ins Schloß fallen. Orte wie die Leichenhalle oder der dunkle Keller, die sich für einen Horrorfilm geradezu anbieten, bleiben weitgehend ungenutzt. Der Großteil der Szenen spielt am hellichten Tag; wirken eher dokumentarisch denn stylisiert. Auf herkömmliche Action-Sequenzen wartet man vergeblich - die Story entwickelt sich langsam; der Regisseur nimmt sich Zeit, die Verhältnisse zwischen den Protagonisten zu beleuchten. Aus Akten, die die Arbeiter im ehemaligen Krankenhaus finden, erfährt man mehr über die Vergangenheit des Gebäudes und manche "Behandlungsmethode", die angewandt wurde. Die verlassenen Räume scheinen von den stummen Hilfeschreien der Patienten widerzuhallen, die in anonymen, mit Nummern versehenen Gräbern innerhalb der Grenzen des Komplexes liegen. Die Stimmen Marys und ihrer abgespaltenen Persönlichkeiten, verzerrt von einem leiernden Tonband widergegeben, verstärken den Eindruck der tiefen Verzweiflung und Einsamkeit, die der Film von Anfang an ausstrahlt. Konsequent, aber eher verhalten denn sensationsheischend, bewegt sich der Streifen auf ein Finale zu, dessen Ausgang - selbst wenn man wie ich schnell durchschaut, wohin sich die Story entwickelt - nicht einen einfachen Schock oder eine einfache Überraschung, die leicht abgeschüttelt und schnell vergessen ist, bietet, sondern sich langsam im Gehirn ausbreitet, nachwirkt und zur Auseinandersetzung auffordert.

- ...where do you live, Simon...?

Wer sich auf "Session 9", getragen von seinen großartigen, in der Hauptsache fast unbekannten Darstellern, einlässt, erlebt eine subtile Mischung aus Horror und Psychothriller, die mehr Angst erzeugen kann als jeder andere handelsübliche Möchtegerngrusler (und ich gebe es zu: Ich hatte eine Scheiß-Angst und mehr als einmal eine Gänsehaut). Auch wenn das Set entfernt an "Shining" oder ähnlich gelagerte Spukhausfilme erinnert, geht diese Low-Budget-Produktion doch einen gänzlich anderen Weg. Sven Berndt schrieb in "Splatting Image 9/95" einmal passend: "Wer für den Horror ein Objekt des Grauens braucht, hat Horror nicht verstanden." Brad Anderson, Regisseur und Mitautor von "Session 9", weiß um das wahre Wesen des Horrors. Es ist weder an ein Gebäude noch an Gegenstände gebunden noch auf die Darstellung von Ekeleffekten beschränkt. Michael Myers, Jason Vorhees, Freddy Krüger oder auch Pinhead verlassen den Raum, wenn der Videorekorder oder der DVD-Player abgeschaltet wird, denn sie leben nur innerhalb der Grenzen des Mediums. Verglichen mit Simon sind sie lediglich platte Personifizierungen unserer Ängste, die letztlich besiegbar bleiben, auch wenn sie in immer neuen Fortsetzungen auf der Leinwand auftauchen (und genauso oft wieder verschwinden). Nach "Session 9" weiß der Betrachter, wo Simon wirklich lebt. Der mittlerweile schwarze Bildschirm wirkt nicht beruhigend, denn Simon lässt sich nicht einfach abschalten. Seine letzten Worte hallen noch lange nach und man kann nur hoffen, niemals von ihm in irgendeiner Form begrüßt zu werden.

Schhhhht! Seid leise! Ihr weckt Simon noch auf! ["Hallo... Hannes!"]


2002 Hannes Schwarz