Original-Titel: | Spiderman |
Herstellungsland: | USA 2002 |
Regie: | Sam Raimi |
Buch: | David Koepp
Scott Rosenberg Alvin Sargent |
Darsteller: | Tobey Maguire
Kirsten Dunst Willem Dafoe |
Peter Parker ist ein schüchterner Junge, der von seinen Mitschülern,
wenn sie ihn denn beachten, erniedrigt und gehänselt wird. Daß
das nicht gerade seinen Marktwert bei den Mädchen erhöht, dürfte
ausser Frage stehen. Wie alle schüchternen Jungen hat auch Peter einen
Schwarm und wie alle schüchternen Jungen schmachtet er ihr nur aus
der Ferne nach.
Sein Leben ändert sich dramatisch, als er von einer genmanipulierten
Spinne gebissen wird. Plötzlich kann er Wände ohne Hilfsmittel
erklimmen, große Sprünge machen und zudem spinnennetzartige
Fäden aus dem Handgelenk verschiessen. Anfangs nutzt er seine Kräfte,
um sich selbst Vorteile zu verschaffen und seine große Liebe zu beeindrucken.
Erst nach dem Tode seines Onkels, an dem er sich mitschuldig fühlt,
setzt er seine Macht für das Allgemeinwohl ein und wird zum "Spiderman".
Ein großer Superheld braucht natürlich einen würdigen Gegenspieler.
Parker findet ihn in Gestalt des Vaters seines besten Freundes, der nach
einem mißglückten Experiment ebenfalls über Superkräfte
verfügt und die Stadt unter seine Kontrolle bringen möchte.
Ursprünglich war James Cameron als Regisseur für "Spiderman"
vorgesehen. Nach dauernden Verschiebungen übernahm Sam Raimi den Regiestuhl,
der, betrachtet man sein bisheriges Werk, wie prädestiniert für
den Stoff ist. Bereits Ash, der Held in Raimis "Evil Dead"-Reihe, erinnerte
mit jeder Folge mehr an einen Comic-Charakter. Mit "Darkman" erschuf Raimi
einen eigenen Superhelden; als ausführender Produzent war er für
"M. A. N. T. I. S." (eine Story um einen schwarzen Super-Hero), und die
Antik-Verwurstungen "Hercules" und "Xena" verantwortlich. Auch an der Umsetzung
des "Dark Horse"-Comics "Timecop" mit Jean-Claude van Damme in der Hauptrolle
war Raimi maßgeblich beteiligt.
Glücklicherweise erinnert "Spiderman" mehr an "Darkman" denn an
die griechischen Muskeltiere. Raimi spart nicht mit augenzwinkernden Überblendungen,
komödiantischen Einlagen und seiner berühmten Ironie und drückt
so "Spiderman" seinen eigenen unverwechselbaren Stempel[1]
auf, ohne seine Figuren zu karikieren. Raimi bemüht sich sogar um
eine ansprechende Charakterisierung seines Helden und eine ebensolche Story,
scheitert dabei jedoch an zwei Dingen: Zum einen interessierten mich Parkers
Jugendprobleme kaum (zumal ich Kirsten Dunst nicht das geringste abgewinnen
kann); zum anderen waren weite Teile der Story nur allzu bekannt aus anderen
Geschichten. Selbst Parkers "Wrestling"-Einsatz in Verbindung mit einem
ersten lächerlichen Entwurf seines Kostüms erinnerte an Millers
"Year One", in dem Batman noch seinen eigenen Stil sucht (wenn auch in
einem vollkommen anderen Kontext[2]). Wo Waynes zerrissene
Doppelnatur durch das Jugendtrauma, den gewaltsamen Tod seiner Eltern mitansehen
zu müssen, geschaffen wird, erfährt Parker seine Wandlung durch
das Ableben seines Ziehvaters. Selbst der Gegenpart in Gestalt Willem Dafoes
bleibt seltsam blaß; ist nicht zu vergleichen mit einem "Joker",
wie er beispielsweise in "The Killing Joke" von Alan Moore dargestellt
wird. Der Endkampf erinnert zudem in Teilen unangenehm an Schumachers "Batman
Forever"[3] (übrigens ein wirklich scheußlicher
Film). Wie Raimi oder sein Drehbuchschreiber diese Parallele, die jedem
Kenner der "Batman"-Serie auffallen muß, übersehen konnten,
ist mir schleierhaft.
Zusätzlich leidet "Spiderman" am "James-Bond-Syndrom" der relativen
Spannungsarmut, da von Anfang an klar ist, daß der Held das Ende
des Films nicht nur erleben, sondern auch überleben wird. So ist es
gleichgültig, in welche gefährlichen Situationen der Protagonist
gebracht wird, da der Zuschauer den Ausgang bereits kennt. Ausführliche
finale Auseinandersetzungen erscheinen mir in solchen Produktionen immer
als äußerst überflüssig bis langweilig.
Ein bestimmter Aspekt des Endes mag manchem Zuschauer als tragisch
erscheinen, ist jedoch letztlich die Konsequenz, die man aus etlichen anderen
Superhero-Comics kennt (Parker sollte übrigens froh sein, denn im
Gegensatz zu einem anderen Helden wird er auch weiterhin zu der Silhouette
eines Pärchens hinter einem beleuchteten Fenster aufschauen können,
ohne an eine traumatische Kindheit erinnert zu werden).
Ein Wort zu den markigen Sprüchen in "Making ofs": Bei "Batman" wurde darauf hingewiesen, daß Wayne doch ein normaler Mensch ohne jegliche Superkräfte sei und sich deshalb - im Gegensatz zu etwa "Spiderman" - besser zur Identifikation durch den Zuschauer eigne. Im "Making of" zu "Spiderman" hingegen heißt es, daß Parker der nette Junge von nebenan sei, dessen einziger Unterschied zum Zuschauer in seinen zusätzlichen Kräften liege - im Gegensatz etwa zu einem "Batman", der immerhin Millionär sei. Ich habe weder einen Haufen Geld noch bin ich unmotiviert von einer mutierten Spinne gebissen worden, weshalb beide Helden gleich weit von meiner derzeitigen Situation entfernt sind. Wer dem Zuschauer näher liegt, muß natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Eine konsequente Verfilmung von "Return of the Dark Knight" wäre mir persönlich lieber als ein weiteres "Spiderman"-Abenteuer, weil der dort dargestellte schizophrene Psychopath der interessanteste Charakter sein dürfte, den die Comic-Welt je erleben durfte (abgesehen von "Night Owl", "Dr. Manhattan", "Comedian" und "Rohrschach" natürlich).
"Spiderman" ist nicht wirklich schlecht und sicherlich ausreichend für
einen netten Kinoabend. Spiderman-Fans werden wahrscheinlich auf ihre Kosten
kommen, denn ich wurde von einigen Menschen dieser Gattung darauf hingewiesen,
wie nah der Film doch am Vorbild bliebe.
Mein coloriertes Comic-Herz liegt trotzdem immer noch in einem exakt
abgegrenzten Bildrahmen. Keine Bewegungslinien deuten eine Tätigkeit
des Herzmuskels an; keine Lautwort-Erfindung beschreibt seine Arbeit. Walter
Joseph Kovacs betrachtet aus dem Schatten einer Arterie heraus einen Blutfleck
und sieht doch nur die eingeschlagenen Schädel zweier Schäferhunde.
Jon studiert die einzelnen Atome des Muskels und erinnert sich kaum mehr,
jemals einen eigenen Herzschlag gehabt zu haben, während er über
den Verlust seines Menschseins sinniert. Dies sind die wahren Götter
des Comics, und weder Burton noch Raimi könnten ihnen einen Tempel
errichten. Dazu bräuchte es eines Architekten wie Fincher, der den
Kern ihres Evangeliums über die Kathedralentür meißelt:
Who watches the WATCHMEN?
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[Wie bei meinen Kritiken üblich, müssen die Anmerkungen nicht
gelesen werden und spoilern eventuell einige Filmszenen]
[1] Wie in vielen Filmen Raimis hat Bruce Campbell, der Darsteller des "Ash" aus der "Evil Dead"-Trilogie, wieder einen Gastauftritt: Er darf den Announcer beim Wrestling-Kampf geben. Ted Raimi ist natürlich ebenfalls dabei. Ob im Abspann die Raimi-typischen "Fake Shemps" auftauchen, ist meiner Aufmerksamkeit leider entgangen.
[2] Wayne, gerade erst aus Europa zurückgekehrt, weiß bereits, daß er sein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen widmen wird. Als Matrose verkleidet, macht er einen ersten "Gehversuch"; scheitert aber kläglich. In einer Halluzination erscheint ihm sein gespaltenes Ich und er wird zur Fledermaus. Zwar ist diese Szene nicht direkt mit "Spiderman" vergleichbar, trotzdem versuchen sich hier zwei Superhelden in ersten Kostümentwürfen, obwohl ihre Motivation unterschiedlich ist. Aus diesem Grund wurde ich sofort bei den Bildern an "Year One" erinnert (ebenfalls von Frank Miller, der allerdings nicht nur Ausnahmestories geschaffen hat, wie man am Drehbuch zu "Robocop 2" - oder dem, was in der endgültigen Fassung davon übriggeblieben ist - sehen kann).
[3] In "Batman Forever" wird Wayne vom "Riddler" vor eine Entscheidung gestellt: Rettet er seine neue Liebe in Gestalt Nicole Kidmans oder seinen Ziehsohn, das Waisenkind "Robin". Äquivalent dazu lässt der "Green Goblin" Peter Parker die Wahl zwischen Mary Jane und einem Rudel Kinder. Beide Helden "entscheiden" sich, beide Parteien zu retten.