Spiderman
Original-Titel: Spiderman
Herstellungsland: USA 2002
Regie: Sam Raimi
Buch: David Koepp
Scott Rosenberg
Alvin Sargent
Darsteller: Tobey Maguire
Kirsten Dunst
Willem Dafoe

Ich muß zugeben, daß mein coloriertes Comic-Herz niemals für den Spinnenmann schlug. Weder die Abenteuer Peter Parkers noch jene des Bruce Waynes gehörten in meiner Jugendzeit zu meiner Pflichtlektüre. Erst spät zog der tragische Psychopath im Fledermauskostüm in eine kleine Herzkammer ein, was vorrangig Frank Miller und seinem Ausnahme-Comic "Die Rückkehr des dunklen Ritters" zu verdanken war. An der Millerschen Tiefe sowie seiner künstlerischen Ausgestaltung muß sich in der Folge bei mir jede andere Bildgeschichte bzw. deren Verfilmung messen - zumal ein gewisser Alan Moore bewies, daß selbst die von Miller definierten Grenzen noch aufgebrochen werden können.

Peter Parker ist ein schüchterner Junge, der von seinen Mitschülern, wenn sie ihn denn beachten, erniedrigt und gehänselt wird. Daß das nicht gerade seinen Marktwert bei den Mädchen erhöht, dürfte ausser Frage stehen. Wie alle schüchternen Jungen hat auch Peter einen Schwarm und wie alle schüchternen Jungen schmachtet er ihr nur aus der Ferne nach.
Sein Leben ändert sich dramatisch, als er von einer genmanipulierten Spinne gebissen wird. Plötzlich kann er Wände ohne Hilfsmittel erklimmen, große Sprünge machen und zudem spinnennetzartige Fäden aus dem Handgelenk verschiessen. Anfangs nutzt er seine Kräfte, um sich selbst Vorteile zu verschaffen und seine große Liebe zu beeindrucken. Erst nach dem Tode seines Onkels, an dem er sich mitschuldig fühlt, setzt er seine Macht für das Allgemeinwohl ein und wird zum "Spiderman". Ein großer Superheld braucht natürlich einen würdigen Gegenspieler. Parker findet ihn in Gestalt des Vaters seines besten Freundes, der nach einem mißglückten Experiment ebenfalls über Superkräfte verfügt und die Stadt unter seine Kontrolle bringen möchte.

Ursprünglich war James Cameron als Regisseur für "Spiderman" vorgesehen. Nach dauernden Verschiebungen übernahm Sam Raimi den Regiestuhl, der, betrachtet man sein bisheriges Werk, wie prädestiniert für den Stoff ist. Bereits Ash, der Held in Raimis "Evil Dead"-Reihe, erinnerte mit jeder Folge mehr an einen Comic-Charakter. Mit "Darkman" erschuf Raimi einen eigenen Superhelden; als ausführender Produzent war er für "M. A. N. T. I. S." (eine Story um einen schwarzen Super-Hero), und die Antik-Verwurstungen "Hercules" und "Xena" verantwortlich. Auch an der Umsetzung des "Dark Horse"-Comics "Timecop" mit Jean-Claude van Damme in der Hauptrolle war Raimi maßgeblich beteiligt.
Glücklicherweise erinnert "Spiderman" mehr an "Darkman" denn an die griechischen Muskeltiere. Raimi spart nicht mit augenzwinkernden Überblendungen, komödiantischen Einlagen und seiner berühmten Ironie und drückt so "Spiderman" seinen eigenen unverwechselbaren Stempel[1] auf, ohne seine Figuren zu karikieren. Raimi bemüht sich sogar um eine ansprechende Charakterisierung seines Helden und eine ebensolche Story, scheitert dabei jedoch an zwei Dingen: Zum einen interessierten mich Parkers Jugendprobleme kaum (zumal ich Kirsten Dunst nicht das geringste abgewinnen kann); zum anderen waren weite Teile der Story nur allzu bekannt aus anderen Geschichten. Selbst Parkers "Wrestling"-Einsatz in Verbindung mit einem ersten lächerlichen Entwurf seines Kostüms erinnerte an Millers "Year One", in dem Batman noch seinen eigenen Stil sucht (wenn auch in einem vollkommen anderen Kontext[2]). Wo Waynes zerrissene Doppelnatur durch das Jugendtrauma, den gewaltsamen Tod seiner Eltern mitansehen zu müssen, geschaffen wird, erfährt Parker seine Wandlung durch das Ableben seines Ziehvaters. Selbst der Gegenpart in Gestalt Willem Dafoes bleibt seltsam blaß; ist nicht zu vergleichen mit einem "Joker", wie er beispielsweise in "The Killing Joke" von Alan Moore dargestellt wird. Der Endkampf erinnert zudem in Teilen unangenehm an Schumachers "Batman Forever"[3] (übrigens ein wirklich scheußlicher Film). Wie Raimi oder sein Drehbuchschreiber diese Parallele, die jedem Kenner der "Batman"-Serie auffallen muß, übersehen konnten, ist mir schleierhaft.
Zusätzlich leidet "Spiderman" am "James-Bond-Syndrom" der relativen Spannungsarmut, da von Anfang an klar ist, daß der Held das Ende des Films nicht nur erleben, sondern auch überleben wird. So ist es gleichgültig, in welche gefährlichen Situationen der Protagonist gebracht wird, da der Zuschauer den Ausgang bereits kennt. Ausführliche finale Auseinandersetzungen erscheinen mir in solchen Produktionen immer als äußerst überflüssig bis langweilig.
Ein bestimmter Aspekt des Endes mag manchem Zuschauer als tragisch erscheinen, ist jedoch letztlich die Konsequenz, die man aus etlichen anderen Superhero-Comics kennt (Parker sollte übrigens froh sein, denn im Gegensatz zu einem anderen Helden wird er auch weiterhin zu der Silhouette eines Pärchens hinter einem beleuchteten Fenster aufschauen können, ohne an eine traumatische Kindheit erinnert zu werden).

Ein Wort zu den markigen Sprüchen in "Making ofs": Bei "Batman" wurde darauf hingewiesen, daß Wayne doch ein normaler Mensch ohne jegliche Superkräfte sei und sich deshalb - im Gegensatz zu etwa "Spiderman" - besser zur Identifikation durch den Zuschauer eigne. Im "Making of" zu "Spiderman" hingegen heißt es, daß Parker der nette Junge von nebenan sei, dessen einziger Unterschied zum Zuschauer in seinen zusätzlichen Kräften liege - im Gegensatz etwa zu einem "Batman", der immerhin Millionär sei. Ich habe weder einen Haufen Geld noch bin ich unmotiviert von einer mutierten Spinne gebissen worden, weshalb beide Helden gleich weit von meiner derzeitigen Situation entfernt sind. Wer dem Zuschauer näher liegt, muß natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Eine konsequente Verfilmung von "Return of the Dark Knight" wäre mir persönlich lieber als ein weiteres "Spiderman"-Abenteuer, weil der dort dargestellte schizophrene Psychopath der interessanteste Charakter sein dürfte, den die Comic-Welt je erleben durfte (abgesehen von "Night Owl", "Dr. Manhattan", "Comedian" und "Rohrschach" natürlich).

"Spiderman" ist nicht wirklich schlecht und sicherlich ausreichend für einen netten Kinoabend. Spiderman-Fans werden wahrscheinlich auf ihre Kosten kommen, denn ich wurde von einigen Menschen dieser Gattung darauf hingewiesen, wie nah der Film doch am Vorbild bliebe.
Mein coloriertes Comic-Herz liegt trotzdem immer noch in einem exakt abgegrenzten Bildrahmen. Keine Bewegungslinien deuten eine Tätigkeit des Herzmuskels an; keine Lautwort-Erfindung beschreibt seine Arbeit. Walter Joseph Kovacs betrachtet aus dem Schatten einer Arterie heraus einen Blutfleck und sieht doch nur die eingeschlagenen Schädel zweier Schäferhunde. Jon studiert die einzelnen Atome des Muskels und erinnert sich kaum mehr, jemals einen eigenen Herzschlag gehabt zu haben, während er über den Verlust seines Menschseins sinniert. Dies sind die wahren Götter des Comics, und weder Burton noch Raimi könnten ihnen einen Tempel errichten. Dazu bräuchte es eines Architekten wie Fincher, der den Kern ihres Evangeliums über die Kathedralentür meißelt: Who watches the WATCHMEN?

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[Wie bei meinen Kritiken üblich, müssen die Anmerkungen nicht gelesen werden und spoilern eventuell einige Filmszenen]

[1] Wie in vielen Filmen Raimis hat Bruce Campbell, der Darsteller des "Ash" aus der "Evil Dead"-Trilogie, wieder einen Gastauftritt: Er darf den Announcer beim Wrestling-Kampf geben. Ted Raimi ist natürlich ebenfalls dabei. Ob im Abspann die Raimi-typischen "Fake Shemps" auftauchen, ist meiner Aufmerksamkeit leider entgangen.

[2] Wayne, gerade erst aus Europa zurückgekehrt, weiß bereits, daß er sein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen widmen wird. Als Matrose verkleidet, macht er einen ersten "Gehversuch"; scheitert aber kläglich. In einer Halluzination erscheint ihm sein gespaltenes Ich und er wird zur Fledermaus. Zwar ist diese Szene nicht direkt mit "Spiderman" vergleichbar, trotzdem versuchen sich hier zwei Superhelden in ersten Kostümentwürfen, obwohl ihre Motivation unterschiedlich ist. Aus diesem Grund wurde ich sofort bei den Bildern an "Year One" erinnert (ebenfalls von Frank Miller, der allerdings nicht nur Ausnahmestories geschaffen hat, wie man am Drehbuch zu "Robocop 2" - oder dem, was in der endgültigen Fassung davon übriggeblieben ist - sehen kann).

[3] In "Batman Forever" wird Wayne vom "Riddler" vor eine Entscheidung gestellt: Rettet er seine neue Liebe in Gestalt Nicole Kidmans oder seinen Ziehsohn, das Waisenkind "Robin". Äquivalent dazu lässt der "Green Goblin" Peter Parker die Wahl zwischen Mary Jane und einem Rudel Kinder. Beide Helden "entscheiden" sich, beide Parteien zu retten.


2002 Hannes Schwarz