Original-Titel: | Battle Royale |
Herstellungsland: | Japan 2000 |
Regie: | Kinji Fukasaku |
Buch: | Kenta Fukasaku |
Darsteller: | Takeshi Kitano
Tatsuya Fujiwara Aki Maeda |
I must have done something wrong
or maybe pissed off god
(NoFX: The longest line)
Hubschrauber am Himmel. Reporter, von Soldaten zurückgedrängt. Das Spiel sei dieses Jahr besonders hart gewesen, heißt es. Ein Jeep. Auf dem Rücksitz zwischen zwei Wächtern ein verschüchtertes Mädchen, eine Stoffpuppe fest umklammernd. Überraschte Rufe: Ein Mädchen hat das Spiel gewonnen! Blut überall auf der Kleidung der Kleinen, Blut auch auf der Puppe. Der Kopf hebt sich langsam. Die stumpfen Augen beleben sich, die Lippen zucken. Ein Lächeln erscheint auf dem Gesicht, verzerrt sich zur Karikatur einer menschlichen Regung: eine Mischung aus zu Grimm geronnenem Lächeln, hinterhältig funkelnden Augen, die dem Kindhaften gespenstisch widersprechen, und einer diesem Blick innewohnen Traurigkeit.
Japan zur Jahrtausendwende: 15 % Arbeitslosenquote. Jugendliche, die nicht mehr zur Schule Schule erscheinen und Lehrer massiv attackieren; Kinder, die mehr und mehr in die Kriminalität abrutschen. Der Staat beginnt seine Kinder zu fürchten. Die Regierung erlässt den BR-Act.
Eine Klassenfahrt sollte es werden. Ausgelassenheit im Bus; Mädchen, die erste Flirtversuche wagen. Daß das Ziel eine kleine Insel ist, hat den Schülern niemand gesagt. Begrüßt werden sie von einem ehemaligen Lehrer: Kitano. Er legt den Unterricht für die nächsten drei Tage fest: Tötet euch gegenseitig. Brutal demonstiert er, daß er es ernst meint. Es darf nur einen Gewinner geben. Überlebt mehr als einer, besorgen Sprengladungen in den Halsbändern der Schüler den Rest. Über die Bänder können jederzeit die Lebenszeichen sowie der Aufenthaltsort abgefragt werden. Gleichzeitig sorgen sie dafür, daß sich niemand zu lange an einem Ort aufhält: Bestimmte Bereiche der Insel werden nach und nach zu Todeszonen erklärt. Kitano lässt keinen Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Bänder aufkommen. Jeder der Schüler bekommt ein Survivalpack, eine einzigartige Waffe und wird in die Dunkelheit der inzwischen eingebrochenen Nacht entlassen.
Konfusion. Verzweiflung. Panik. Manche begehen
Selbstmord, andere schütteln die Fesseln der Zivilisation schnell
ab. Aufgestauter Hass und Neid finden ein Ventil.
Nicht nur dunkle Seiten werden offenbar. Lange
verborgene Zuneigungen werden mehr oder weniger offen zugegeben, Beschützerinstinkt
geweckt, wahre Freundschaft und Liebe entdeckt, Verantwortung für
den anderen übernommen. Der Tod ist allgegenwärtig, unbarmherzig,
schmerzhaft und kommt in manchen Fällen nur langsam. Über allem
wacht Kitano, der über Lautsprecheranlage zu bestimmten Zeiten die
Namen der getöteten Freunde durchgibt - selbstverständlich in
der Reihenfolge, in der sie gestorben sind.
Boys #4 Oda dead! 20 to go!
(Untertiteleinblendung in "Battle Royale")
[Die Anmerkungen, auf die die Zahlen in eckigen Klammern verweisen, müssen nicht unbedingt gelesen werden, um die Kritik zu verstehen. Dort greife ich Aspekte oder Szenen des Films auf, um meine Ansicht zu verdeutlichen. Allerdings wird in den Anmerkungen massiv gespoilert!]
Es gab in der Vergangenheit eine Handvoll Filme,
die sich der Thematik der sogenannten "Todesspiele" annahmen. Der früheste
Beitrag dürfte "The most dangerous game" von 1932 sein, in dem ein
verrücktes Genie seine Opfer als Beute über eine Südseeinsel
jagte. 1970 folgte mit "Das Millionenspiel", das auf eine Story von Robert
Sheckley zurückging, ein deutscher Fernsehbeitrag, der aus urheberrechtlichen
Gründen lange nicht aufgeführt werden durfte. Wie im französischen
Film "Kopfjagd - der Preis der Angst" (1980) - ebenfalls eine Verfilmung
der Kurzgeschichte von Sheckley - und auch im unsäglichen Schwarzenegger-Vehikel
"Running Man" (1987) steht die Medienkritik im Vordergrund; verstehen sich
alle vorgenannten Streifen als Satire, die die Wirklichkeit überzeichnen.
Auf diese Weise wirken die Filme weniger schockierend als die heutige
Gesellschaft entlarvend - was man alleine an den Kanditatenmeldungen, die
nach der Ausstrahlung des "Millionenspiels" beim Sender eingingen, ersehen
kann.
Stephen King, dessen Romane oft genug Plagiate
oder - freundlicher gesagt - Variationen altbekannter Stoffe sind, nahm
sich des Themas gleich zweimal an. In beiden Romanen, die unter dem Pseudonym
"Richard Bachmann" veröffentlicht wurden, rückt die Medienkritik
in den Hintergrund. Die satirische Überzeichnung weicht einer realistischen
Darstellung, in der die Opfer der "Spiele" in den Mittelpunkt gerückt
werden. In "Menschenjagd (Running Man)" von 1982 ist es ebenso wie bei
Sheckleys "Der Tod spielt mit" ein Fernsehspiel, das der Unterhaltung und
Ablenkung der Zuschauer dienen soll (das Buch hat übrigens bis auf
den Titel und den Namen der Hauptperson nichts mit dem Film gemein). In
nächster Verwandtschaft zu "Battle Royale" steht das bereits 1979
entstandende "Todesmarsch (The long walk)". Hier sind es 100 freiwillige
Jugendliche, die gegeneinander laufen. Wer unter 3 Meilen die Stunde geht,
bekommt eine Verwarnung. Eine vierte Verwarnung gibt es nicht; der Teilnehmer
wird erschossen. Gewinner ist, wer alle anderen überlebt. Das gesamte
Geschehen wird dabei - ohne die "Ich"-Form zu bemühen - aus der Sicht
eines Jugendlichen beschrieben. Die Kritik an der Gesellschaft bzw. der
Art des Spiels ist zweitrangig; die Handlungsweisen der Teilnehmer und
ihre Charakterisierung steht im Vordergrund.
Ähnlich wie in Kings "Todesmarsch" präsentiert
sich auch die Handlung von "Battle Royale": Die Umstände, die zur
Einrichtung des Spiels führten, erfährt man als Untertitel im
Vorspann und wird weiter kaum aufgegriffen. Im Mittelpunkt stehen die Jugendlichen;
Reaktionen der Aussenwelt werden ausgeklammert. Dabei geht "Battle Royale",
der auf einer literarischen Vorlage beruht, die ich leider nicht kenne,
noch einen Schritt weiter als King: Die Kinder sind diesmal keine Freiwilligen;
das Töten der "Konkurrenten" nimmt ihnen zudem kein anonymer Soldat
ab. Die Gemeinsamkeit ist die Darstellung der Beziehungen der Jugendlichen
untereinander, die in beiden Stories herausgearbeitet werden und trotz der
"Action" der Kernpunkt der Erzählungen ist. Allerdings gibt es auch
in der Art der Beziehungen einen Unterschied zwischen den Geschichten:
In "Todesmarsch" lernen sich die Jugendlichen erst kennen; in "Battle Royale"
gehen sie gemeinsam zur Schule. So entstehen verschiedene Konflikte ebenso
wie das Mißtrauen untereinander erst durch unverarbeitete Erlebnisse
aus der Vergangenheit: Das Mädchen Noriko schließt sich nicht
einer bestehenden Gruppe an, weil sie nicht vergessen hat, wie diese sie
als kleines Kind gehänselt und verfolgt hat. Mitsuko (eventuell die
interessanteste und zwiespältigste Person des ganzen Films) fällt
fast einer Mitschülerin zum Opfer, weil sie mit deren Freund geschlafen
hat und diese nun auf Rache sinnt. Die in der Schule entstandenen Cliquen
mitsamt Anführern bleiben erhalten, die Aussenseiter werden nach wie
vor ausgegrenzt und sich selbst überlassen, was sie erst zur Gefahr
für alle Beteiligten werden lässt. Ein Mißverständnis
reicht zudem aus, um ein Massaker zwischen vormals besten Freunden auszulösen.
Die Unmöglichkeit, irgendwo auf der Insel ein sicheres Versteck zu
finden, steigert die Paranoia ins Unermessliche und sorgt für einige
unnötige Tote mehr.
Der
Stoff wäre prädestiniert für einen typischen Underground-Film
mit entsprechend niedrigem Budget. Entgegen meiner Erwartungen erwies
sich "Battle Royale" als vom formalen Standpunkt aus gesehen erstklassige
A-Produktion. Statt eines ambitionierten Jungfilmers nahm Kinji Fukasaku
im Regiestuhl Platz, der bereits seit mehr als 40 Jahren im Geschäft
ist (er filmte z. B. einen Teil der Aufnahmen zu "Tora! Tora! Tora!" (1970)
oder den Endzeit-Thriller "Virus" (1980)). Fukasaku hatte eine wirklich
herausfordernde Aufgabe, denn er mußte nicht nur eine Riege von über
40 Jungdarstellern führen, sondern auch dafür sorgen, daß
ihr Schicksal für den Zuschauer greifbar wird. Dank des ausgezeichneten
Drehbuches, das seine Protagonisten nicht als platte Stereotypen versteht,
sondern sie sorgfältig charakterisiert - sei es durch Rückblenden,
sei es durch kurze Dialoge oder auch nur einfache Gesten und Symbolik in
den Bildern (glücklicherweise verzichtete man auf allzu geschwätzige
und eventuell peinliche Reflektionen von Seiten der Kids - dies ist nicht
"Battle's Creek"; hier soll nicht in endlosen Gesprächen das Gefühlsleben
der Jugendlichen breitgetreten werden) - gelingt Fukasaku der Spagat zwischen
Action, zynischer Satire, Terror und anspruchsvollem Drama tatsächlich.
Sein Stil ist effektiv, weder zu distanziert noch aufdringlich sentimental.
Kein Bild wirkt unnötig, aufgesetzt oder deplaziert. Manchmal prallen
Satire, schwarzer Humor und abstoßende Gewalt in einer Szene aufeinander
(bestes Beispiel dürfte die Szene zu Anfang des Filmes sein, in der
der ehemalige Lehrer den Kindern die Situation, in der sie sich befinden,
begreiflich macht. Etwas Absurderes und gleichzeitig Erschreckenderes habe
ich bisher selten gesehen [1]). Die unterschiedlichen
Mittel der Darstellung zerstören oder entschärfen den Film nicht,
sondern fügen sich passend in das Gesamtbild ein. Manchmal zeichnet
die Kamera traurig-poetische Bilder, um im nächsten Moment eine grausame
Mordszene einzufangen, die nicht abgeblendet oder ästhetisch verfremdet
wird. Bis zum letzten Todesröcheln bleibt der Zuschauer dabei; erlebt
sowohl Reaktion des Mörders als auch Resultat seiner Aktion mit. Anschließend
gleitet die Kamera über die Leichen; wie in einem Videospiel werden
Namen und Nummern der Toten eingeblendet und ein Counter informiert, wieviel
"Mitspieler" übrig bleiben. Eingeblendete Texttafeln mit Aussagen von
bereits Toten, die durch den Kontext der Szene eine andere Wendung bekommen
[2], unterstützen den deprimierenden Ton des Films
noch.
Durch die Art der Inszenierung und die Vorstellung
der Charaktere wirkt selbst der Tod der Nebenfiguren tragisch und kann
den Zuschauer tief berühren [3]. Zwar sind manche
Sterbeszenen grotesk-blutig ausgestaltet, erinnern von ihrer Wirkung aber
eher an Antikriegsfilme denn an typische Splatterszenen. Wenn man sich
auf die Personen einlässt, wird das Betrachten der unzähligen
Tode im Verlauf des Filmes mehr und mehr unerträglich; gegen Ende
hin wollte ich einfach niemanden mehr sterben sehen.
Ebenso herausragend wie die Art der Inszenierung
ist Takeshi Kitanos Darstellung des Ex-Lehrers Kitano (sic!). Zwar spielt
er nicht sonderlich anders als in seinen bisherigen Filmen, allerdings
gelingt es ihm, die Zerissenheit seiner Person glaubwürdig dem Zuschauer
nahezubringen. Wirkt er anfangs wie der stereotype Sadist und Reaktionär,
werden später andere Seiten seiner Persönlichkeit angedeutet,
die ihn fast verständlich und menschlich erscheinen lassen. Gleichzeitig
ist sein Einsatz in diesem Film natürlich auch eine Art böse Parodie auf
seine Zeit als Moderator von "Takeshi's Castle"; einer Gameshow, in der
mehr als hundert Jugendliche durch verschiedene Spielszenarien gejagt werden,
um zum Schluß eine Burg zu erobern (da es fast ein Wunder war, daß
es bei der Art der Spiele nicht häufig zu Knochenbrüchen und
anderen schweren Verletzungen kam, ist diese Show zumindest in der westlichen
Welt nicht ganz unumstritten). Das intensive Spiel der sonstigen sehr jungen
Schauspieler steht Kitanos Darstellung in meinen Augen in nichts nach.
You know what that means?
(Texttafel in "Battle Royale")
Zumindest
unter Filmfans wird "Battle Royale" einige Kontroversen auslösen.
Es gibt genügend Andeutungen und Symbole, die in die eine oder andere
Richtung ausgelegt werden können. Als Mediensatire taugt der Film
wenig, da bis auf den Anfang kaum auf diese Komponente Wert gelegt wird.
Auf der Insel gibt es keinerlei Kameras, die das "Spiel" als eine Art Fortführung
in letztmöglicher Konsequenz
von Medienereigissen wie "Big Brother" übertragen und natürlich,
wie beim "Todesspiel", ihr Publikum finden würde. Dies rechne
ich dem Film jedoch nicht als Manko an, weil man sich so vollends auf die
Darsteller und ihre Aktionen konzentrieren kann und nicht in Gefahr gerät,
jede Szene nach einem Kontext in Hinsicht auf unsere heutige Fernsehlandschaft
abzusuchen (so ist es mir z. B. beim ersten Ansehen von "Mann beißt
Hund" ergangen, nachdem ich gelesen habe, daß der Film als Satire
auf "Reality TV" zu verstehen ist).
Der Ausgangspunkt des Films ist der staatliche Erlaß
des "Battle Royale Act" als Abschreckungsmaßnahme für "ungehorsame" Jugendliche.
Manche Kritiker haben bereits angemerkt, daß
das "BR" zur Abschreckung nicht tauge, da im Film klar wird, daß
auch Jugendliche, die sich entsprechend der Erwartungen der Gesellschaft
verhalten, auf der Insel landen. Mein Argument dagegen ist, daß es
nicht wichtig ist, ob man sich gebührlich beträgt: Die Schüler
stammen aus sozial schwachen Verhältnissen, sie werden höchstwahrscheinlich
in Zukunft die Arbeitslosenquote erhöhen. Daß sich unter den
Kindern auch zukünftige Stützen der Gesellschaft befinden, wird
billigend in Kauf genommen. Wahrscheinlich bringen die Übertragungsrechte
an der Präsentation des Siegers dem Staat mehr ein als diese Leute
jemals an Steuern aufbringen werden. Dem Bürger werden die Teilnehmer
des Spiels natürlich als der "Aussatz der Gesellschaft" präsentiert.
So erfüllt das "Battle Royale" drei Aufgaben: Es dezimiert - wenn
auch unerheblich - die Anzahl kommender Sozialhilfeempfänger und Krimineller,
bringt dem Staat Einnahmen und schreckt zusätzlich andere Jugendliche
ab, die nicht wissen, daß unabhängig von ihrem Betragen sie
die Nächsten sein können. Wichtiges Indiz auf diese Auslegung
ist zum einen der Tod des eigentlichen Lehrers der Schüler, dessen
Leiche den Kindern von Kitano mit den Worten, er habe nicht kooperieren
wollen, präsentiert wird, andererseits die Überraschung, mit
der die "Kandidaten" auf ihre Auswahl reagieren, die sie eben nicht haben
vorausahnen können.
Die Aussage des Films zu finden bleibt dem Zuschauer
selbst überlassen. Für mich bedeutet sie: Kümmert euch um
eure Kinder! Ihr seid verantwortlich für ihren Werdegang; das kann
euch kein Staat abnehmen - und sie sind es wert, gerettet zu werden. In
"Battle Royale" sollen die Symptome einer Gesellschaft bekämpft werden,
die ihren Kindern weder Perspektive noch Möglichkeiten bietet. Statt
die Ursachen zu beseitigen, will man mit Gewalt die Jugend ruhig halten.
Man kann die gezeigten Bilder als Allegorie auf
den Krieg verstehen. Auch in Kriegszeiten werden Menschen aufeinandergehetzt,
ohne daß sie ein persönliches Motiv zum Töten des gegnerischen
Soldaten hätten. Oft genug wurden Deserteure und Verweigerer in der
Vergangenheit von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Nicht anders
ergeht es den Kindern in "Battle Royale": Wer überleben möchte,
ist gezwungen, alle anderen umzubringen. Die Leitung des Spiels verzeiht
weder Mitleid mit dem "Gegner" noch moralische Bedenken.
Schließlich bleibt die Möglichkeit,
"Battle Royale" als Sinnbild unserer gewählte Gesellschaftsform
zu sehen: In der Ellbogengesellschaft bleibt nur der nicht auf der Strecke,
der sich rücksichtslos gegen seine Konkurrenten durchsetzt. Oft genug
wird im Film gezeigt, wie ganze Gruppen, die gemeinschaftlich einen Ausweg
suchen, von einem Einzeltäter ausser Gefecht gesetzt werden. Andererseits
bewirken gerade die Kinder, die gemeinschaftlich vorgehen, einen - wenn
auch nur vorübergehenden - Zusammensturz des grausamen totalitären Systems,
welches eine Miniatur
herrschender Politik und obwaltenderWertvorstellung von Befehl und Gehorsam
darstellt.
"Battle Royale" ist ein mahnendes Zeichen gegen
Gewaltausübung im
Kleinen wie im Großen, transponiert in ein perverses Spiel, welches
politische und zwischenmenschliche Herrschaftsstrukturen sichtbar macht. Viele Tode
sind unnötig und werden auch nicht als gerechtfertigt
oder einziger Ausweg aus dem Dilemma gezeigt. Hätte die Gruppe von
Anfang an zusammengehalten und sich gegen ihre zunächst einzige Bedrohung
in Form eines sadistischen Killers, den die Leiter des Spieles zur "Aufmischung"
eingebracht haben, zur Wehr gesetzt, hätte es eventuell einen Ausweg
gegeben. Dies wird im Film mehr als einmal klar gezeigt. Die teilweise
drastisch in Szene gesetzten Mordsequenzen wirken durch ihren Kontext keineswegs
selbstzweckhaft, sondern abstoßend.
In gewisser Hinsicht ist "Battle Royale" mit "Starship Troopers" vergleichbar: Hier wie dort sind Satireelemente vorhanden, die aber im Laufe des Films nicht aufgegriffen oder so eindeutig dem Zuschauer präsentiert werden, daß sie einwandfrei als Satire verstanden werden können. In beiden Fällen ist der Zuschauer gefordert, sich eine eigene Meinung über das dargebotene Geschehen zu bilden und bestimmte Szenen miteinander in Verbindung zu bringen bzw. zu interpretieren. Beide Filme kann man - wenn man das Gehirn vollkommen abschaltet - als reine Actionreisser ohne verwertbare Aussage betrachten (so unverständlich das mir und einigen anderen auch erscheinen mag). Vom Diskussionspotential bietet "Battle Royale" allerdings einiges mehr, weil er radikaler, in Teilen nachvollziehbarer und unangenehmer ist und zudem durch die Inszenierung mancher Szenen geradezu eine Interpretation herausfordert.
Eine vollständige Bestandsaufnahme bzw. Deutung des Filmes kann diese Kritik nicht bieten, denn dazu müsste ich den Streifen komplett zerlegen und die Schlüsselszenen verraten. Wer sich den Film anschaut, sollte sich bewußt sein, daß er einen der härtesten, kompromißlosesten, konsequentesten, schockierendsten, schonungslosesten und deprimierendsten Streifen zu sehen bekommt, die jemals das Licht der Leinwand erblickt haben und der auch Tage nach dem Ansehen nachwirkt. Dazu gehört allerdings, daß man sich auf die agierenden Personen einlässt. Wie man allerdings trotz der Fülle an Symbolik und der bereits beschriebenen sorgfältigen Charakterisierung der Jugendlichen, die geradezu um eine kritische Reflektion betteln, "Battle Royale" als "Action-Gülle" abtun kann, ist mir persönlich ein Rätsel. Man kann einen Film wie diesen nicht mit Sexploitern der Marke "Beautiful Girl Hunter" oder ähnlichem vergleichen - dazu schreckt die Gewalt in "Battle Royale" viel zu sehr ab; ist keinesfalls zur Unterhaltung eines Publikums, das seine niederen Instinkte befriedigt sehen möchte, geeignet.
"Battle Royale" wirkte bei mir wie der Tritt in die Magengrube eines der sterbenden Opfer im Film - und das, obwohl ich schon einiges an gewalthaltigen Filmen gesehen habe. Das Ende entließ mich deprimiert in eine Welt, in der glücklicherweise das Schlußwort des Films nicht wörtlich genommen werden muß. Leider wird der Streifen hierzulande nicht veröffentlicht. "Battle Royale" gehört in die Kinos; er verdient die Aufmerksamkeit des großen Publikums und ist keineswegs ein Nischenprodukt für Fans mit "speziellem Interesse". Die Geschehnisse in Erfurt sollten nicht dazu führen, daß diskussionswürdige Beiträge aus unserer Medienlandschaft verbannt werden. Leider wird man in diesem Falle einen Bezug zu reellen Ereignissen herstellen, der zwar einer Überprüfung nicht standhält, aber von der breiten Masse akzeptiert werden wird.
Wer sich näher über den Film informieren möchte, dem sei die aufwändig gestaltete Seite www.battleroyaleonline.com ans Herz gelegt. Neben unzähligen Screenshots enthält die Seite Szeneninterpretationen, Zitate und eine Menge sonstiger Infos.
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[1] In dieser Szene erwachen
die Schüler in einer Art Klassenraum. Kitano erklärt ihnen mit
zynischen Formulierungen, warum sie auf die Insel gebracht wurden. Seinen
Ausführungen folgt ungläubige Verwunderung. Kitano greift zu
einem Videoband. Auf dem Fernsehschirm ist eine Art durchgeknallte MTV-Moderatorin
zu sehen, die überdreht und albern die Grundzüge des Spieles
erklärt, während hinter ihr die Internet-Adresse zur Veranstaltung
zu sehen ist. Natürlich kann man sich anlässlich der Präsentation
ein Grinsen nicht verkneifen, allerdings tötet Kitano auf brutalste
Weise während der Vorführung eine Schülerin, die mit einer
anderen getuschelt hat. Die Panik, die daraufhin unter den Kindern ausbricht,
wird durch die anwesenden Soldaten, die wild in die Decke und vor die Füße
der Jugendlichen ballern, unterdrückt. Kitano erklärt betont
sachlich, daß man sich jetzt wieder dem Videoband zuwenden solle.
Die Ansagerin erklärt die Funktion der Halsbänder, welche Kitano
sofort vorführt. Nach dem Tode der "Versuchsperson", die er vorher
beschimpft hat, weil sie die Schule geschwänzt und trotzdem an der
Klassenfahrt habe teilnehmen wollen, grinst Kitano und merkt an, daß
er ja gar nicht töten dürfe, sondern daß dies den Schülern
überlassen bleibe. Diese Szene hat eine Art doppelten Boden: Der getötete
Schüler war der beste Freund einer der Hauptpersonen, die bereits
den Vater durch Selbstmord verloren hat und wieder einen schrecklichen
Verlust erleben muß. Der Schüler hält ein blutbeschmiertes
Bild in Händen, das auf der Busfahrt gemacht wurde und auf dem der
Kopf des ermordeten Jungen abgeschnitten ist: Nicht einmal ein Bild bleibt
von dem toten Waisenjungen; nichts, was die Gesellschaft an ihn erinnert.
Was als Satire durch die überzogene Darstellung auf dem Videoband
beginnt, endet mit einem Schock; das Lachen bleibt dem Zuschauer im Halse
stecken. Gleichzeitig wird Publikum und "Kanditaten" unmißverständlich
klar, daß das "Battle Royale" kein Scherz ist, sondern blutige Realität.
[2] Shuya kommt nach einem Kampf,
in dessen Verlauf er in die See gestürzt ist, in einem Leuchtturm
zu sich und sieht sich einem Mädchen gegenüber, das ihn offensichtlich
verbunden und gepflegt hat. Sie eröffnet ihm, daß sie nie vorher
so nah bei einem Jungen gewesen sei und fragt, ob er sich schon einmal
verliebt habe. In dieser Unterhaltung fällt von ihrer Seite aus der
Satz: "You know what that means?"
Wenig später ist das Mädchen zusammen
mit ihrer ganzen Gruppe tot. Die "Schuldige", die eigentlich Shuya töten
wollte, weil sie einen Kampf mitansehen mußte, in der Shuyas Widersacher
gestorben ist, vergiftete unabsichtlich ein anderes Mädchen aus der Gruppe und löste
damit ein Gemetzel aus (letzter Satz eines der sterbenden Opfer: "Ihr Narren!
Wir hätten alle zusammen überleben können!"). Sie rennt
an Shuya vorbei, der sich im Turmzimmer des Leuchtturms befindet und berichtet
stammelnd über das Geschehene. Dann reißt sie sich los. Eine
Texttafel mit dem Satz "You know what that means?" wird eingeblendet, wobei
nicht klar ist, ob sich diese Einblendung an den Zuschauer oder Shuya richtet.
Shuya wird die Bedeutung zumindest schnell schmerzhaft bewußt. Er
hetzt dem Mädchen hinterher und kann nur hilflos auf ihren zerschmetterten
Körper am Fuße des Leuchtturms starren.
[3] In einer Rückblende sehen
wir z. B. Chigusa, die vor dem fahradfahrenden Hiroku läuft. Die beiden
flirten miteinander; er verspricht, daß er immer für sie da
sein werde. In der Realität trägt sie dieselbe Kleidung wie in
der Rückblende, die Straße im Hintergrund scheint ebenfalls
dieselbe zu sein. Es könnte sich also auch um einen Wunschtraum gehandelt
haben und nicht um eine Reflektion der Vergangenheit. Eines Fast-Vergewaltigers
entledigt sie sich mit großer Brutalität und stirbt schließlich
in den Armen des Jungen aus der Rückblende, von dem sie weiß,
daß er eine andere liebt. Sie bittet ihn, sie so zu halten, als ob
er sie wirklich liebe, denn es sei nicht für lang. Obwohl diese Szene
nur ein paar Minuten währt, erfahren wir eine Menge über die
beiden Personen. Statt anonymen Kanonenfutters werden sie zu echten Menschen
mit echten Gefühlen und Sehnsüchten. Selbst der erwähnte
Fast-Vergewaltiger ist nicht einfach ein gewissenloses Schwein, das sich
im Angesicht des Todes ein wenig sexuelle Befriedigung verschaffen möchte.
Wir erfahren, daß er das Mädchen schon sehr lange begehrt, sie
ihn aber ablehnt. Aus seiner gesamten Körperhaltung kann man entnehmen,
daß er sich gar nicht sicher ist, ob er sie wirklich vergewaltigen
möchte. Die Auseinandersetzung der beiden wird durch das Auftauchen
von Mitsuko, die anfangs wie eine gewissenlose und sadistische Killerin
wirkt, abrupt beendet.
Hiroku, in dessen Armen das Mädchen gestorben
ist, sucht während des Films weiter nach seiner großen Liebe,
der er seine Zuneigung niemals gestanden hat. Als er sie schließlich
findet, erschießt sie ihn, weil sie sich vor ihm fürchtet. Während
er in einer Wasserlache stirbt, wiederholt er die gleichen Worte, die er
vorher zu der sterbenden Chigusa gesagt hat und die anlässlich des
Verhaltens seiner Angebeteten wie ein Witz erscheinen: "You're so cute!".
Wieder taucht Mitsuko auf, tötet das Mädchen und wird dann selbst
ermordet. Aus dem Off hören wir Mitsukos Stimme: "Ich wollte nicht
immer nur der Verlierer sein!" Im Zusammenhang mit einer anderen Szene,
in der man Mitsuko vor den nackten, offenbar kastrierten Leichen zweier
männlicher Jugendlichen stehen sieht und einer vorher stattgefundenen
Auseinandersetzung, in der sie als "Schlampe, die mit allen schläft"
bezeichnet wurde, kann man Mitsukos Charakter mindestens erahnen.
Anhand dieser Szenenbeschreibung sollte man ersehen
können, daß das Geflecht der Beziehungen unter den Personen
sowie ihre Darstellung im Film weit über das Standardmaß herkömmlicher
Action-Produktionen hinausgeht. Eventuell wird hier auch deutlich, was
ich mit "Effektivität" des Stiles meine: Statt großer Worte
oder ausschweifender Rückblenden gelingen es Regisseur und Drehbuchschreiber,
mit minimalen Mitteln ihre Figuren dem Zuschauer nahezubringen.
2002 Hannes Schwarz. Danke an Thomas "Jodo" Neitz für die Verbesserungen!