"Eine Zensur findet nicht statt"

Einführung
Relevante Gesetzestexte
Was sagen die Gesetzestexte denn nun?
Institutionen
    FSK
    JK
    FSF
    BPjS
Indizierung
Beschlagnahmung
Fernsehen
Auswirkungen
Fallbeispiele
   Evil Dead - Teufelstanz des Schwachsinns
    Nekromantik 2 - Gefährliche Kunst
    Burning Moon - Brennende Filmrollen
    Kleinere Fälle
Kommentierte Ausschnitte aus Indizierungsbegründungen
    Scream
    Starship Troopers
Pychologie und Meinungen
    Offizielle psychologische Begründung der BPjS
    Die "Doppelte-Dosis"-Hypothese
    Der "Third-Person"-Effekt
    Sündenbock Medien?
Verwendete und empfehlenswerte Literatur zum Thema

Änderungsangaben


Einführung

1967 stellte das BVerwG fest: "Die Indizierung einer jugendgefährdenden Schrift [bzw. Filmes] kommt [...] fast ihrem Verbot gleich. Sie stellt eine empfindliche Beschränkung des Informationsrechtes der Erwachsenen dar." (zit. nach SCHÜTZ, S. 187)

Screem: Sie sagen, das Modell "Niederlande" sei für Deutschland ungeeignet. Weshalb? Die Kriminalitätsrate ist in den Niederlanden weitaus geringer, trotz wesentlich höherer Bevölkerungsdichte.Die völlig unzensierte Gewalt in den Medien scheint sich dort nicht auszuwirken, so daß man sich doch fragen muß, ob Medien-Gewalt in ihrem Einflußcharakter nicht ziemlich stark überschätzt wird.Halten Sie die Deutschen für Mediengewalt anfälliger?
Stefen: Die Deutschen waren für die "Hitlergewalt" anfällig - weshalb wir besonders sensibel für mediale Gewaltdarstellung sein müssen. ("Screem" Ausgabe Dez.1992 [Rudolf Stefen ist der ehemalige Vorsitzende der BPjS])

Aktuelle Scherzfrage der Branche: "Wann wird der erste Tesafilm indiziert?" (Jörg Altendorf, "Jugendschutz ja, Zensur nein" in cinema 2/84)

Es gibt eine Vielzahl von Seiten, die sich mit dem leidigen Thema der "Filmzensur" in Deutschland beschäftigen. Statt purer Information wird man oftmals mit den gleichen Zetereien, Nazivergleichen etc. überschüttet und ist nach der Lektüre keinen Deut schlauer. Viele Menschen, die sich über dieses Thema auslassen, haben anscheinend nur ein schwammiges oder verzerrtes Bild der tatsächlichen Umstände. So werden oftmals Filmschnitte der FSK oder der BPjS angelastet, obwohl diese Institutionen nichts (oder nur indirekt) mit der Verstümmelung zu tun haben.

Ich hoffe, ich kann mit dieser Seite einige Mißverständnisse ausräumen und dem Leser in Teilen neue Denkanstösse geben.

Anmerkung: Dieser kurze Abriss erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder Endgültigkeit. Bei Verbesserungen bitte direkt eine Mail an mich. Im Laufe der Zeit wird dieser Artikel mehr und mehr erweitert; wundert euch also nicht, wenn noch nicht alle Artikel vorhanden sind oder nur kurz abgehandelt werden.
Ferner weise ich darauf hin, daß diese Abhandlung zur Information geschrieben wurde und keinesfalls als Werbung für die z. T. mit Namen genannten indizierten bzw. beschlagnahmten Filme gedacht ist.

Meinungen, Verbesserungen und Erweiterungen zu dieser Abhandlung können mir entweder gemailt oder im Forum diskutiert werden.


Relevante Gesetzestexte

Den relevanten Gesetzestexten ist eine Sonderseite gewidmet, weil sie doch sehr umfangreich sind und den Rahmen dieser Abhandlung sprengen würden.


Was sagen die Gesetzestexte denn nun?

Laut Gesetz muß der Verkäufer eines Filmes darauf achten, daß der Käufer nur einen Film erwirbt, der für seine entsprechende Altersstufe gekennzeichnet ist. Bei Filmen bis zur Altersgrenze "Freigegeben ab 16 Jahre" wird das Anbieten und der Verkauf etwa über ein Internet-Auktionshaus oder einen Versandhandel bisher geduldet - was nicht heißt, daß dieses Verfahren nicht gesetzeswidrig ist.

Ungeprüfte Bildträger oder Filme, die ab 18 Jahren freigegeben sind, unterliegen allerdings weiteren Einschränkungen:

"(3) Bildträger, die von der obersten Landesbehörde nicht oder mit "Nicht freigegeben unter achtzehn Jahren" gekennzeichnet worden sind, dürfen

   1.einem Kind oder Jugendlichen nicht angeboten, überlassen oder sonst
     zugänglich gemacht werden,
   2.nicht im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder
     anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt oder im
     Versandhandel angeboten oder überlassen werden."

Damit ist klar, daß der Versand von diesen Filmen ausgeschlossen und strafbar ist. Hierbei sollte man beachten: Ausländische Filmfassungen (etwa importierte DVDs) gelten automatisch als "nicht gekennzeichnet", da diese Bildträger nicht der FSK vorgelegt wurden. Dabei ist es praktisch unerheblich, ob es sich um "Bambi" oder um "Raus mit den Gedärmen Teil 12" handelt.

Laut diesem Gesetzestext dürfte ein Bildträger, der eine Altersfreigabe "ab 18" trägt, auch nicht in den Kaufhäusern öffentlich angeboten werden. Anscheinend wird das aber geduldet, wenn gewährleistet ist, daß vor dem Verkauf das Alter des Käufers überprüft und eine Abgabe an Jugendliche so ausgeschlossen wird.

Für indizierte Filme siehe Punkt "Indizierungen".


Institutionen

FSK

FSK steht für "Freiwillige Selbst-Kontrolle der Filmwirtschaft". Sie vergibt die Altersfreigaben für Kino- und Videofilme, ferner "prüft die FSK auch die Eignung von Filmen für die Vorführungen an Feiertagen"[1] (zitiert nach den Seiten der SPIO). Sie kann die Freigabe eines problematischen Films verweigern (laut Auskunft von Astro-Geschäftsführer Oliver Krekel wurde die erneute Prüfung von "Mother's Day" von vornherein abgelehnt) und Schnittempfehlungen geben.

Entgegen einem weitverbreiteten Mißverständnis schneidet die FSK keine Filme. Diese Entscheidung liegt alleine beim Verleiher selbst. Verweigert die FSK eine Freigabe "ab 18 Jahren", besteht immer noch die Möglichkeit, diesen Film ohne Altersfreigabe auf den Markt zu bringen, denn die FSK-Vorlage ist offiziell freiwillig.

Der Leser stößt sich jetzt wahrscheinlich an der Formulierung "offiziell". Aufschluss über die "freiwillige" Vorlage gibt die FSK selbst: Auf ihren Seiten heißt es: "Eine Vorlagepflicht bei der FSK besteht nicht, allerdings haben die in der SPIO zusammengeschlossenen Wirtschaftsverbände ihre Mitglieder verpflichtet, nur von der FSK geprüfte Produkte öffentlich anzubieten." Zu diesen Wirtschaftsverbänden gehören u. a. der "Verband der Filmverleiher e.V.", der "Hauptverband Deutscher Filmtheater e.V." und der "Bundesverband Video e.V." (Quelle: SPIO).
Diese Auflistung macht deutlich, daß kein Major einen ungeprüften Film in den Verleih bringen und statt dessen zur Schere greiften wird.

Auch Kinofilme müssen vor ihrer Veröffentlichung auf einem Bildträger erneut der FSK vorgelegt werden, um zu gewährleisten, daß die Videofassung identisch mit der bereits bewerteten Fassung ist.

Laut Angabe auf den Seiten der FSK kann nach 15 Jahren eine Neuprüfung beantragt werden, da sich die Prüfkriterien in dieser Zeit geändert haben könnten (nachzulesen in einer Broschüre, die auf den Seiten der SPIO heruntergeladen werden kann). Auf eine Anfrage an die FSK von meiner Seite aus wurde mir jedoch geantwortet, daß bereits nach 10 Jahren eine Neuprüfung vorgenommen werden kann:
laut FSK-Grundsätzen kann ein Film nach 10 Jahren wegen wesentlich geänderter Umstände erneut dem Ausschuss der FSK zur Prüfung vorgelegt werden.
(Wortlaut der eMail)


JK

Die "Juristenkommission der SPIO" ist im Grunde keine Institution vergleichbar der FSK oder der BPjS. Hierbei handelt es sich um 3 Juristen, die einen Film lediglich auf einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften (meist § 131 StGB) überprüfen und eine Unbedenklichkeitserklärung ausstellen können - die jedoch nicht vor einer Beschlagnahmung durch die deutschen Gerichte schützt. Das JK-Votum hat den Status einer privatrechtlichen Gutachtens. Inwiefern diese Erklärung für Verleiher und Vorführer als auch für Produzenten wichtig sein kann, wird unter "Beschlagnahmung" näher erläutert (Text aus "JMS-Report 05/1998 zum Thema).


FSF

Ähnlich dem Rundfunkrat der Öffentlich-Rechtlichen gründeten die Privaten [gemeint sind private Fernsehsender] am 23.11.1993 in Bonn die "Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V." Das Gremium versteht sich als Antwort auf die Gewaltdiskussion, denn zukünftig können die kommerziellen Programmanbieter ihre Sendungen vor der Ausstrahlung - freiwillig - begutachten lassen. Sat 1-Chef Jürgen Doetz sagt dazu: "Die elf Landesmedienanstalten bleiben letzte Instanz, insofern handelt es sich bei der FSF um eine Art Vorzensur zur Vorzensur der Landesmedienanstalten."
(Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen").

Ähnlich der FSK kann die FSF Schnittempfehlungen für die Ausstrahlung eines Beitrages im Fernsehen empfehlen. Eine rechtliche Verbindlichkeit besteht in den Weisungen des FSF aber nicht; letztlich behalten die Landesmedienanstalten das letzte Wort - laut Aussage einer Broschüre der FSK (siehe Punkt "Fernsehen") müssen diese die Prüfgutachten der FSF allerdings in ihre Entscheidung miteinbeziehen.


BPjS

Die Zusammensetzung und Aufgaben der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften" entnimmt man am besten und umfassendsten den Gesetzestexten.

Wichtig für diese Abhandlung ist im wesentlichen, daß der Leser verstanden hat, daß die BPjS getrennt von der FSK zu sehen ist. Die BPjS ist eine Bundesbehörde mit gerichtsähnlichen Funktionen, die der Dienstaufsicht des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend unterstellt ist. Sie kann Schriften in die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Liste aufnehmen, aber keine Schriften beschlagnahmen und somit verbieten - diese Aufgabe unterliegt den Gerichten. Natürlich kann die BPjS einen Staatsanwalt informieren, falls sie einen Film für gesetzeswidrig hält.

Auch ist es ein Irrtum, daß die BPjS von sich aus aktiv wird. Sie darf nur auf Antrag tätig werden. Sobald ein Antrag vorliegt, muß die BPjS diesen Antrag bearbeiten. Antragsberechtigt sind die obersten Jugendbehörden der Länder, die Landesjugendämter, die Jugendämter und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beispiel für einen Antrag)

Jeder mündige Bürger kann den antragsberechtigten Behörden eine Schrift mit einer Begründung, warum er diese Schrift für problematisch im Sinne des Jugendschutzgesetzes hält, zukommen lassen. Dabei muß es sich nicht um ein Original handeln, sondern es kann durchaus eine Kopie vorgelegt werden, denn Kopien sind laut Urheberrecht gestattet, wenn es sich um nichtkommerzielle Zwecke handelt. Ob die zuständige Behörde den Fall an die BPjS weitergibt, liegt in ihrem Ermessen (siehe die Seiten des Jugendmedienschutz)

Eine ausführliche Beschreibung der BPjS findet man hier.


Indizierung

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, daß die Indizierung gleichbedeutend mit dem Verbot eines Filmes wäre. Ein indizierter Film darf weiter gekauft oder verkauft werden, unterliegt aber bestimmten Auflagen:

a)    Werbeverbot
        - keine Anzeigen in Magazinen
        - keine Aussenwerbung von Videotheken mit dem Filmplakat etc.

b)    Kein freies Aufstellen in Geschäftsräumen, die auch von Jugendlichen betreten werden

c)    Kein Versand (ausgenommen: Händler)

d)    Keine Abgabe an Kinder und Jugendliche

(siehe Gesetzestext)

Anhand dieser Beschränkungen ist klar, daß ein öffentliches Anbieten z. B. in einem Internet-Auktionshaus verboten ist.

Die BPjS kann nur Filme indizieren, die nicht der FSK vorgelegt oder mit einer Freigabe "ab 18" belegt wurden. Das betrifft allerdings nur Bildträger wie Videos, DVDs etc..

Von der FSK freigegebene Kinofilme können nicht indiziert werden. Das führt natürlich zu merkwürdigen Auswüchsen (und wird von den Firmen als Ungleichbehandlung von Wirtschaftszweigen betrachtet): Während für den Kinoeinsatz von Paul Verhoevens Satire "Starship Troopers" oder Wes Cravens "Scream" massiv das Publikum mit Fernsehwerbung und Announcen zugedeckt wurde (beide Filme werden an entsprechender Stelle noch gewürdigt), sind die Videoversionen indiziert. Welchen Sinn eine Vertriebsbeschränkung für dermaßen bekannte Filme macht, ist mir persönlich ein Rätsel.

Man muß sich auch vor Augen führen, daß die indizierten Filme letztlich bereits als "FSK18" eingestuft sind und somit nicht an Kinder oder Jugendliche abgegeben werden dürfen.

Wie erfährt man überhaupt, ob ein Film indiziert wurde? Die rechtsverbindliche Veröffentlichung der aktuellen Indizierungen (und Beschlagnahmungen) erfolgt im "Jugend Medien Schutz Report", der den sogenannten "BPS-Report" ersetzt hat. Herausgeber dieses Magazins ist der ehemalige BPjS-Vorsitzende Rudolf Stefen. Das Heft kostet pro Ausgabe 13,50 DM und kann entweder beim Verlag selbst oder im Buchhandel bezogen werden. Da es nicht indiziert ist, kann es auch an Kinder und Jugendliche abgegeben werden. Hier ist die Anschrift:

Nomos Verlagsgesellschaft
Waldseestr. 3-5
76530 Baden-Baden
Tel.: +49 7221 2104-0
Fax: +49 7221 2104-27
E-Mail: nomos@nomos.de
Website

Andere Veröffentlichungen der Liste gibt es nicht, da der Index als Suchliste für Kinder und Jugendliche herhalten könnte. Diese Vorsicht erscheint im Zeitalter des Internets natürlich überholt - Betreiber ausländischer deutschsprachiger Internetseiten interessiert deutsche Gesetzgebung wenig. Natürlich könnte die Seite von der BPjS indiziert werden (es gibt bereits einen Index mit webbasierten Informationsquellen), allerdings dürfte das wenig bringen.

Die Indizierungsbegründungen werden im sogenannten "Bundesanzeiger" veröffentlicht; nicht im "JMS-Report". Dieses werktäglich erscheinende Blatt informiert über wichtige gerichtliche Entscheidungen und Gesetzesänderungen.

Es gab übrigens schon eher scherzhafte Bestrebungen, den "JMS-Report" indizieren zu lassen, weil er Kindern und Jugendlichen als Auswahlvorlage dienen könnte. Ein Versand oder Abonnement wäre dann nicht mehr möglich, da indizierte Medien nicht über den Postweg befördert werden dürfen.

Die Beschränkungen für eine Austrahlung im Fernsehen siehe Punkt "Fernsehen".


Beschlagnahmung

"Der bayerische Justizminister August R. Lang machte aus seinem persönlichen Abscheu vor Horrorvideos im allgemeinen 1984 einen politischen Auftrag. Er plädierte für eine Verschärfung des § 131 StGB. Nach einer demonstrativen Vorführung, die er für Journalisten zur Bekräftigung seines Anliegens arrangierte, äußerte er: "Als ich diese von kranken Hirnen gemachten Filme zum erstenmal anschauen mußte, ist mir ... schlecht geworden. [...]. Solche Filme werden dann heimlich von Kindern abgespielt. Die dadurch entstehenden Schäden sind nicht absehbar!"" (Gabrielle Meierding: Psychokiller; S. 79)

Die Beschlagnahme eines Films wird von den Gerichten angeordnet. Beschlagnahmte Filme dürfen nicht mehr verkauft werden. Dabei ist die Beschlagnahme eines Films nicht von der FSK-Freigabe oder einer Indizierung abhängig; es kann sogar einen ausländischen Bildträger treffen.

Ein Film bzw. dessen Inhalt gilt nicht erst mit der Feststellung des Gerichtes als gesetzeswidrig, der Strafbestand war bereits vorher erfüllt. Der Gerichtsbeschluß ist als offizielle Bestätigung des Strafbestandes zu sehen. Somit haben sich sowohl der Hersteller als auch Verleiher und/oder Filmvorführer strafbar gemacht und müssen mit empfindlichen Geldbußen oder Freiheitsstrafe rechnen (Beispiele findet man unter "Fallbeispiele"). Aus diesem Grunde wird kaum ein Verleih oder Kino einen ungeprüften Film ohne "JK-Gutachten" in das Programm aufnehmen.

Wie das "JK-Gutachten" von Experten beurteilt wird, kann man hier nachlesen. Nach diesem Text aus "JMS-Report Ausgabe 05/1998" schützt das "JK-Gutachten" keinesfalls vor der Beschlagnahme eines Filmes noch gewährleistet es einen Schutz vor Strafverfolgung für den Anbieter bzw. Produzenten. Allerdings räumen die Gerichte den Betroffenen des öfteren einen "Gutglaubenschutz" ein, weil den Beschuldigten kein Vorsatz nachzusagen ist, da sie sich auf das Urteil der Juristen verlassen haben.

Solange es sich nicht um Kinderpornographie handelt, ist der private Besitz eines beschlagnahmten Films nicht strafbar.


Fernsehen

Auch das Fernsehen hat sich an die FSK-Vorgaben zu halten. So dürfen Filme erst wie folgt zu bestimmten Uhrzeiten ausgestrahlt werden:

FSK12    Abwägung im Einzelfall; jedoch grundsätzlich vor 22:00 Uhr erlaubt.
FSK16    ab 22:00 Uhr
FSK18    ab 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr
(siehe Rundfunkstaatsvertrag, Abschnitt 1; § 2)

Schnitte bei Filmen mit FSK16, die um 20:15 Uhr im "freien" TV ausgestrahlt werden, sind demnach unumgänglich (Beispiele für geschnittene Filme wegen früherer Ausstrahlung: "Braveheart"/Pro7; "Jäger des verlorenen Schatzes"/Sat1; "The Rock"/RTL). Diese Schnitte sind dem Sender anzulasten und nicht irgendeiner "Zensurbehörde". Die Sender nehmen die Verstümmelung in Kauf, um wegen des besseren Sendeplatzes mehr Zuschauer zu erreichen und dadurch (wenn es sich um einen Privatsender handelt) mehr Werbeeinahmen zu erzielen. Gleiches gilt für Fernehserien, deren einzelne Folgen von der FSF unterschiedliche Freigaben erhalten haben. So wurden z. B. einzelne Folgen von Buffy - Im Banne der Dämonen, Hercules, Xena oder auch Practice aufgrund der frühen Ausstrahlung entscheidend geschnitten.

Allerdings gibt es Ausnahmen der Sendezeitbeschränkungen:
Liegt eine FSK-Freigabe länger als 15 Jahre zurück, gibt es Ausnahme-Regelungen. Die Öffentlich-Rechtlichen Sender - grundsätzlich an die Freigaben der FSK gebunden - können über diese Ausnahmen selbst entscheiden. Für die privaten Fernsehveranstalter entscheiden die zuständigen Landesmedienanstalten über Ausnahmefälle, wobei sie die Prüfgutachten der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (FSF) in ihre Entscheidung mit einbeziehen müssen.
So heißt es in einer Broschüre der FSK, die auf den Seiten der SPIO heruntergeladen werden kann.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Rundfunkstaatsvertrag, Abschnitt 1; § 6: Einigen ist bereits aufgefallen, daß Sender tagsüber für Filme, die nach 22:00 Uhr ausgestrahlt werden, nur mittels Standbildern aus dem jeweiligen Streifen werben. Laut der Definition des genannten Paragraphen ist eine Werbung in "bewegten Bildern" nur innerhalb der Sendezeiten möglich, für die der Film freigegeben wurde.

Indizierte Filme dürfen laut Rundfunkstaatsvertrag nicht oder nur geschnitten im Fernsehen gezeigt werden. Es kann jedoch eine Sondergenehmigung bei den Landesmedienanstalten erwirkt und der entsprechende Film ab 23:00 Uhr ungeschnitten ausgestrahlt werden (siehe Rundfunkstaatsvertrag, Abschnitt 1; § 3).

Warum dennoch mancher nicht indizierte Film, der ab 18 freigegeben und erst nach 23:00 Uhr gesendet wurde, geschnitten ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich halte es für wahrscheinlich, daß dem Sender entweder nur ein bereits verstümmeltes Master vorgelegen hat oder aber den Sendern nicht an einem "Gewalt"-Image gelegen ist.

Für das digitale private Fernsehen gelten die Sendezeit-Regelungen nicht, wenn besondere Verschlüsselungs- oder Sicherheitsmechanismen gewährleistet werden können. Inwiefern Sendezeitbeschränkungen ganz oder teilweise aufgehoben werden, obliegt den Landesmedienanstalten (siehe Rundfunkstaatsvertrag, Abschnitt 1; § 5). Laut meinen Informationen darf deshalb Premiere World den ganzen Tag über Filme ausstrahlen, die ab 16 freigegeben wurden.


Auswirkungen

Manch einer mag jetzt sagen, daß sich das alles doch sehr harmlos anhört; von einer Zensur könne keine Rede sein. Bevor wir zu den Fallbeispielen aus der Praxis kommen, werfen wir mal einen Blick auf die Auswirkungen der besprochenen Maßnahmen.

Wie schon im Punkt "FSK" angesprochen, ist die Vorlage eines Bildträgers weniger "freiwillig", als er nach außen hin erscheint. Kein Major, der zu den Interessenverbänden der SPIO gehört, wird einen Film ungeprüft oder ungeschnitten herausbringen. Somit haben sich die großen Filmverleiher schon zu einer Vorabauswahl entschlossen: Besitzt ein Major die Rechte an einem "problematischen" Film, bekommt man ihn in Deutschland nicht oder nur geschnitten zu sehen.

Die ungeschnittene Auflage eines "problematischen" Filmes bleibt somit den kleineren Labels vorbehalten, denen jedoch meist nur ungenügende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. So scheuen sie natürlich Material, das ihnen eventuell - sei es durch Einbußen aufgrund der nicht möglichen Werbung; sei es durch den Verlust einer gesamten Auflage durch Beschlagnahme(2) - das finanzielle Aus bescheren könnte.

Auch Videotheken und Händler scheuen oftmals das Risiko bei ungeprüften und "problematischen" Titeln und nehmen sie gar nicht erst in ihr Programm auf. Meist bleibt dem interessierten Filmfan nur der Import über einen ausländischen Handel - wobei man in Kauf nehmen muß, daß der Zoll die Sendung einbehält.

Der immer mehr florierende Import ausländischer Bildträger schließlich führt die "Jugendschutzmaßnahmen" in ihrer heutigen Form endgültig ad absurdum. Das Ziel einer Indizierung war bisher, den Erwerb eines als problematisch im Sinne des Jugendschutzes eingestuften Films zu erschweren bzw. für Jugendliche unmöglich zu machen. Durch den besonders durch das Internet geförderten internationalen Markt ist es allerdings für keinen Jugendlichen ein Problem, sich diese Titel bequem von zuhause aus zu bestellen - sei es durch Auktionshäuser, sei es durch private Märkte. Dazu braucht es nicht einmal eine Kreditkarte: Viele amerikanischen Privatanbieter akzeptieren problemlos eingesandtes Bargeld; per Einschreiben verschickt.

Die Indizierungspraxis beherbergt jedoch ein weiteres und oftmals unterschätztes Risiko: Sie fördert die "Schere" im Kopf des Künstlers: "Die eigentliche Wirkung von Zensur besteht aber darin, die Folgen von Fremdzensur zu verinnerlichen, um sich zur Risikovermeidung schon von verherein an oktroyierte Normen zu halten. Das kann dahin führen, daß bestimmte Projekte bereits vor der Produktionsphase aufgegeben werden müssen, da ein Verbot absehbar ist. Eine andere subtile Art der Vorauszensur besteht in der Finanzmittelstreichung, wenn z. B. die Filmförderung ihre Gelder wie im Fall Achternbusch wieder zurückzieht. Ist der Vorwurf der Gotteslästerung nun extrem auslegungsbedürftig, so meinen die verantwortlichen Stellen oft, im Hinblick auf Sex&Violence objektiver eingreifen zu können." (Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen").
Wie man unter dem Punkt "Fallbeispiele" besonders an den Beispielen "Burning Moon" und "Nekromantik 2" erkennen kann, führt eine Beschlagnahmung und Einziehung eines Films auch zu der kompletten Vernichtung der Masterbänder. Jeder Filmschaffende wird sich mehrmals überlegen, ob er das Risiko des finanziellen (und künstlerischen) Verlustes in Kauf nimmt. Die Indizierungs- und Beschlagnahmungspraxis in Deutschland bedeutet für einen Künstler, daß er sich von vornherein, will er Ärger mit den Behörden vermeiden, an bestimmte Normen zu halten hat.

Ein weiterer Aspekt einer Indizierung bzw. Beschlagnahmung soll ebenfalls nicht verschwiegen werden:
Interessant hieran [gemeint ist die Jugendschutzpraxis] ist, daß die Beteiligten so agieren, als wüßten sie nicht um die Folge von Tabuisierungen: Der Reiz des Verbotenen intensiviert die Lust daran - und erhöht den Marktwert. Hier zeigt sich wieder einmal, daß Zensur ihrem Wesen nach paradox ist.
(Gabrielle Meierding in: "Psychokiller"; S. 74)

Selbstverständlich werden durch die Indizierungspraxis auch andere Kulturbereiche berührt. In der Buch- und Zeitschriftenbranche führt sie zu Vorzensur seitens der verantwortlichen Verleger: "Bei Büchern gilt, daß die verlagsinterne Vorzensur meist strenger ist als die Bundesprüfstelle. Jedenfalls wurde von den Verlagen, die eine Selbstzensur eingeführt haben, bislang kein Buch mehr indiziert." (Rudolf Stefen in einem Referat; abgedruckt in: Dritter Kongress der Phantasie, Schriftenreihe 14, Fantasia 74/75, ISBN 3-924443-60-2)
Im gleichen Referat heißt es: Ein Problem des Jugendschutzes ist, daß im Falle der Indizierung eines Buches der Verlag den Titel häufig völlig zurückzieht. Verlangt nun ein erwachsener Kunde das Buch in einer Buchhandlung, so erhält er als Auskunft, das Buch wäre nicht mehr zu erhalten, weil es von der Bundesprüfstelle verboten worden sei. Die Kunden sind natürlich sehr verärgert und lasten es dem Jugendschutz an, was aber nicht richtig ist, denn nach dem Jugendschutz kann das Buch durchaus für Erwachsene im Angebot bleiben.
    Für die Buchhändler ist das allerdings eine Last, da sie einerseits ihre Auszubildenden vor dem Buch schützen müssen und sich andererseits der Verkauf einzelner Exemplare einfach nicht lohnt. All diese Probleme hält sich der Buchhandel vom Hals, indem er das indizierte Objekt einfach an den Verlag zurückschickt.

(2) Man muß sich verdeutlichen, was eine Beschlagnahmung eines Filmes im Allgemeinen bedeutet: Nicht nur ein Film wird von den durchsuchenden Beamten mitgenommen, sondern meist auch alles, was irgendwie verdächtig aussieht sowie Computeranlagen und Akten, die für den Geschäftsbetrieb wichtig sind. Natürlich wird das unbegründet konfiszierte Material nach einiger Zeit zurückgegeben; allerdings sind die Firmen dann bereits in Konkurs gegangen. So wurde nach einer Razzia bei dem kleinen Independent-Label "LaserParadise" verlautbart, daß etwa 12.000 DVDs konfisziert wurden.
Auch für Versandhändler und Videotheken beherbergt das Anbieten von "problematischen" Titeln dieses Risiko.


Fallbeispiele

Evil Dead - Teufelstanz des Schwachsinns

23.11.1983
"Tanz der Teufel" ist der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) zur Prüfung vorgelegt worden. Das Ergebnis ist negativ, ohne vier Schnitte wird der Film nicht "ab 18 Jahre" freigegeben werden. Prokino weigert sich, den Film zu schneiden."

25.11.1983
Die Juristenkommission der SPIO (die Filme nicht im Sinn des Jugendschutzes, sondern auf Unbedenklichkeit im Sinne des Strafgesetzes prüft) bestätigt in einem Gutachten, daß gegen eine öffentliche Vorführung des Films in strafrechtlicher Hinsicht keine Bedenken bestünden. Die Begründung bezieht sich im wesentlichen darauf, daß von Dämonen übernommene Menschen keine Menschen mehr sind.

10.02.1984
"Tanz der Teufel" hat seinen Bundesstart in den Kinos.

06.07.1984
Die Staatsanwaltschaft läßt die Geschäftsräume von Prokino nach Unterlagen über die Herstellung und Verbreitung des Films durchsuchen. Die Aktion ist Teil einer bundesweiten Beschlagnahmung aller Kopien, ausgelöst durch eine Initiative des Jugendamtes Frankfurt. Auch die Kinos werden diesbezüglich belangt, in der Folge jedoch freigesprochen.

12.07.1984
Der Beschluß des Amtsgerichts München liegt vor. In ihm ordnet Richter Straßmeier die allgemeine Beschlagnahme des Films wegen Verstoß gegen Paragraph 131 Abs. 1 StGB an.

13.07.1984
Unter Verweis auf das Gutachten der Juristenkommission, die formalen Kunstgriffe des Regisseurs, die zahlreichen Auszeichnungen auf den diversen Festivals sowie die größtenteils positive Resonanz des Films bei der bundesdeutschen Kritik legen die Rechtsanwälte der Betroffenen gegen den Beschluß des Amtsgerichts München Widerspruch ein.

02.08.1984
Der bayrische Justizminister August R. Lang heizt die seit einiger Zeit geführte Diskussion über Horrorvideos aufs Neue an und läßt einigen Journalisten Ausschnitte aus gängigen Filmen vorführen. Ziel dieser Demonstration ist eine schärfere Fassung des Paragraphen 131 StGB.

27.02.1985
Im Fall "Tanz der Teufel" kommt es zur Hauptverhandlung. Die Einziehung des Films wird bestätigt.

16.03.1985
Rechtsanwalt Sieghart Ott legt eine 22-seitige Begründung der Berufung vor.

06.07.1985
Dr. Fritz Göttler, der stellvertretende Leiter des Münchener Filmmuseums, legt sein Gutachten vor: "Durch seine lockere Struktur ermöglicht der Horrorfilm dem Zuschauer eine gewisse Distanzierung zum Geschehen und bewirkt damit einen Verfremdungseffekt. In dem Film ist die Verfremdung bis zur Parodie getrieben. Bei aller Abwandlung der Genremotive und -szenen weist der Film dadurch eine erhebliche Umbekümmertheit und Frische auf!"

07.10.1985
Die 12. Strafkammer des Landgerichts München I bestätigt das Urteil des Amtsgerichts.

27.11.1985
Rechtsanwalt Sieghart Ott würdigt die wiedersprüchliche Argumentation mit einer Verfassungsbeschwerde beim zuständigen 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts.

21.06.1987
Da sich die Entscheidung des Verfassungsgerichts immer weiter hinauszögert, entschließt sich Prokino, "Tanz der Teufel" in einer geschnittenen Version der FSK vorzulegen. Diese Fassung ist um 12 Sekunden geschnitten.

08.09.1987
Die FSK lehnt die geschnittene Fassung zur Freigabe "ab 18 Jahre" ab.

18.09.1987
Prokino legt eine weitergehende Schnittfassung der FSK vor. Diese Fassung wird von der FSK zur Erteilung eines Kennzeichens "nicht freigegeben unter 18 Jahren" vorgeschlagen. Bei dieser neuerlichen Schnittfassung fehlen nunmehr 23,5 Sekunden.

09.10.1987
Der Vertreter der obersten Landesjugendbehörde bei der FSK will den Film nur unter der Voraussetzung freigeben, daß die zuständige Staatsanwaltschaft in München mit diesem Verfahren einverstanden ist und gegen die geschnittene Fassung des Films keine strafrechtlichen Bedenken hat.

20.10.1987
Nahezu 23 Monate nach ihrer Einreichung erklärt die 2. Kammer des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde einstimmig aus formaljuristischen Gründen für unzulässig.

28.03.1988
OstA Jovanic teilt mit, daß auch die dritte Schnittfassung, bei der nunmehr 44 Sekunden fehlen, den Tatbestand des Paragraphen 131 StGB erfülle, und gibt die Angelegenheit weiter.

14.04.1988
Das Amtsgericht München ordnet die Beschlagnahme der dritten Schnittfassung an.

04.05.1988
Es kommt zu einer neuerlichen Durchsuchung der Geschäftsräume von Prokino.

09.06.1989
Die Rechtsanwälte Ott und Fraulob legen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen den Beschluß des Amtsgericht München II ein.

20.10.1992
Das Bundesverfassungsgericht hebt die Urteile auf und verweist die Sache zurück ans Amtsgericht München. In der Bründung wird darauf hingewiesen, daß der Paragraph 131 (1) StGB unzulässig weit ausgelegt wurde: "Nach den von Ihnen aufgeführten Gründen ließe sich auch jeder Abenteuer- oder Kriminalfilm wegen seiner Gewaltdarstellung einziehen."

1993
Prokino startet den Film in seiner neuen Fassung bundesweit in den Kinos. Diese Version entspricht der ursprünglichen dritten Schnittfassung mit knapp 44 Sekunden.

April 1993
Videostart der neuen Fassung bei VCL-Video.

Damit zog sich ein Streit wegen lächerlicher 44 Sekunden über beinahe zehn Jahre hin. Da muß man sich schon fragen, ob es nicht Dringlicheres gibt, mit dem sich deutsche Gerichte beschäftigen sollten.
(Peter Osteried in "Sam Raimi Chronicles).

Bislang ist dies der einzige Fall, in dem ein deutscher Filmverleih und ein Videoanbieter gegen juristische Disziplinierungsversuche in die Offensive gingen und entsprechend langen Atem bewiesen.
(Gabrielle Meierding in Psychokiller, S. 82)



Nekromantik 2 - Gefährliche Kunst

Während der 31jährige Regisseur [gemeint ist Jörg Buttgereit] den Indizierungsantrag gegen seinen ersten Teil mit ein paar intelligenten Bemerkungen abwenden konnte, wurde der zweite Teil im April 1992 vom Münchner bzw. Berliner Amtsgericht gleich bundesweit beschlagnahmt und eingezogen sowie der Regisseur drei Wochen per Haftbefehl gesucht.
Beherzte FilmvorführerInnen kleiner Undergroundkinos, die es wie im Münchner Werkstattkino wagten, Buttgereits großartig-melancholischen Blutsturz-Film über die Lieben einer jungen Frau zu einer Leiche oder andere heftige Splatter-Filme wie "Maniac" oder "Evil Dead" zu zeigen, wurden auch in Berlin ("Eiszeit-Kino") kriminalisiert und zu Geldstrafen verurteilt, obwohl diese - fraglos beunruhigend-subversiven - Werke für viele Filmhistoriker und Kritiker zu den Meisterwerken ihres Genres gehören. So schreibt Frank Trebbin in seinem maßgeblichen Filmlexikon: "Durch die tiefergehende psychologische Auslotung des Stoffes muß der Hard-Core-Fan einige Längen in Kauf nehmen. Von dieser Warte aus betrachtet muß man feststellen, daß "Nekromantik 2" schon fast die Ebene des üblichen Horrorfilms verläßt und durch seine epische Erzählweise zum klassischen Autoren-Kino wird." ["Die Angst sitzt neben Dir", Bd. 2, S. 177]
Immerhin wurde die Vorführerin des Münchner "Werkstattkino", Doris Kuhn, nach zähem Rechtsstreit von der Anklage der Verbreitung von Gewaltdarstellungen "in einer die Menschenwürde verletztender Weise" freigesprochen [Die Richter des AG München orientierten sich an der neuen verfassungsrechtlichen Auslegung dieses Begriffes, wie es das BVerfG in seinem "Tanz der Teufel"-Urteil angewendet hat. Vgl. dazu NJW 1993, S. 1457 - 1460, zum "Nekromantik 2"-Freispruch des "Werkstattkino" siehe JMS-Report 1/93 und 6/93, S. 10 - 13].  Doch der für seine diesbezüglichen Feldzüge bekannte Staatsanwalt Herbert Freund wird bestimmt bald ein neues Betätigungsfeld finden. Mittlerweile ist auch Buttgereits Film selbst - ohne FSK-Kontrolle - wieder freigegeben und nicht einmal indiziert. Obwohl seine Filme vielen Splatter-Fans zu künstlerisch-ambitioniert, ja langatmig erscheinen, während sie den meisten Cineasten zu blutig sind [vgl. das Interview mit Monika M in HOWL, Nr. 10, S. 23f], darf man auch bei seinem neuen Werk "Schramm - Einsamer Tod des Lippenstift-Mörders" gespannt auf die Reaktion sein. Danne nicht nur die Schere im Kopf hat er bislang erfolgreich aussen vor gelassen, sondern er legt seine Filme aus Prinzip nie der FSK vor. Schließlich hieße es ja freiwillige (!) Selbstkontrolle. Der Nachteil liegt allerdings darin, daß kaum ein Kino-Betreiber das Risiko eingeht, einen ungeprüften Film ins Programm zu nehmen.
(Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen")

Jörg Buttgereit dazu:
Was soll es denn anderes als Zensur sein, wenn die Polizei vor Deiner Tür steht und Deinen Film haben will. Das harte staatsanwältliche Durchgreifen bei mir bildet eigentlich eher die Ausnahme. Es reicht normalerweise aus, daß Du Probleme hast, den Film in die Kinos zu kriegen, da Du keinen Verleiher findest. Bemerkenswert, daß ich als erster deutscher Regisseur nach §131 anggeklagt wurde, denn normalerweise ist die Verbreitung strafbar, aber nicht das Ausdenken und Drehen. So vergiften sie das gesamte Klima und machen eigentlich schon alles, was es einem erschwert. Die Zensur findet voll statt, aber halt nur an bestimmten Ecken. Wir haben damals natürlich die Masterbänder versteckt und Widerspruch eingelegt. Das Verfahren sollte mittlerweile wegen fehlenden Tatverdachts eigentlich schon eingestellt sein, aber die Berliner Richterin hat es an eine Kollegin weitergegeben, die offenbar mit der Sache nicht vertraut ist. Ich rechne jedoch täglich mit der Freigabe von "Nekromantik 2".
("Die Gesellschaft kriegt immer die Filme, die sie verdient." Ein Interview mit Jörg Buttgereit in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen").



Burning Moon - Brennende Filmrollen

Die jüngste Beschlagnahmung/Einziehung eines deutschen Films inklusive Vernichtung der Masterbänder wegen Gewaltdarstellung bzw. -verherrlichung gemäß §131 StGB basiert auf einem Urteil des AG Fürstenfeldbruck vom 5.5.1993, das sich allerdings nicht zu seiner Urteilsbegründung äußern wollte. Der hierzulande wohl beste Kenner des modernen Horrorfilms, Frank Trebbin, schreibt im vierten Band seines Filmlexikons "Die Angst sitzt neben Dir" über den avantgardistisch-herben "Low"- bzw. "No-Budget"-Streifen im Home-made-Movie-Verfahren (Produktionskosten ca. 50.000 DM): "Olaf Ittenbach vereint in "The Burning Moon" exzellente Kameraarbeit, eingehende Musikuntermalung und gekonnte Schnittechnik zu einer kompakten, visionären Bildgestaltung, die ihresgleichen auf dem heimischen Markt sucht". Andererseits geht die Höllen-Szene des insbesondere beanstandeten Schlußes vor allem wegen der heftig realen Bohrmaschine-gegen-Zahnreihen-Sequenz schon ziemlich an die Ekelgrenze.
Am 8.11.1993 erging das endgültige Urteil am AG Fürstenfeldbruck: Der Zahntechniker und Hobbyfilmer [...] Ittenbach (28) wurde wegen Verbreitung der ungeschnittenen Fassung zu einer Geldstrafe von DM 3.000,- (60 Tagessätze a 50,- DM) + Gerichtskosten verurteilt, womit das Gericht immerhin unter dem Höchstmaß von einem Jahr Gefängnis entschied. Die der FSK vorgelegte und um 12 Minuten geschnittene Fassung darf mit einer Altersfreigabe "ab 18 Jahren" in Vertrieb gehen, während die Originalversion verboten bleibt und zudem am 8.11.1993 bundesweit eingezogen wurde. Neben den bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmten Videos wurden auch sämtliche Masterbänder vernichtet.
(Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen")

Gerade den Beispielen "Nekromantik 2" und "Burning Moon" kann man entnehmen, was eine Beschlagnahmung und Einziehung eines Filmes wirklich bedeutet: Der betroffene Film landet nicht in einem Giftschrank, wo er eventuell von späteren Generationen wiederentdeckt werden könnte, sondern wird, wenn es sich um eine einheimische Produktion handelt, komplett vernichtet.



Kleinere Fälle

"Das Omen" von Richard Donner mit Gregory Peck und Lee Remick
Obwohl der Film eine FSK16-Freigabe für die Kinofassung hatte, indizierte die BPjS den Streifen. Nach einer unbestätigten Quelle zufolge (deshalb mit Vorsicht zu geniessen) versäumte der Verleih, die Videothekenfassung nochmals der FSK vorzulegen. Nach jahrelanger Indizierung ist der Film jetzt in einer Neuauflage auf DVD wieder freigegeben - natürlich FSK16.

"Rabid Grannies"
In den Beschlagnahmungslisten wird als Verleih die UFA angegeben. Allerdings erreichte das Master den Verleih nie, da er schon vorab eingezogen wurde: "Die wildgewordenen Großeltern dieses TOMA-Films wurden in Deutschland erst gar nicht indiziert, sondern 1990 gleich bundesweit eingezogen." (Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen")

"Ritter der Dämonen"
Dieser Film wurde bundesweit vom Verleih zurückgezogen, nachdem die BPjS mit einer Indizierung drohte. Dies ist kein Einzelfall:

"Motel Hell"
"Brav internalisiert hatte die Filmfirma Warner Bros. mit vorauseilendem Gehorsam die Mechanismen der Prüfstelle. Um dem angedrohten Verbot zu entgehen, zog Warner seinen Streifen [...] gleich selbst wieder aus dem Verkehr, nachdem die FSK ihn zwar ab 18 Jahren freigegeben hatte, die BPS nach seiner Indizierung am 30.12.1988 aber eine Beschlagnahme ankündigte." (Roland Seim: Zur Geschichte der Zensur - Entwicklung und Beispiele; in: "ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen")

"www.indizierte-filme.de"
Diese Seite bietet Informationen rund zum Thema Indizierung/Beschlagnahmung und bietet auch detaillierte Listen (leider wird diese Seite nicht mehr gepflegt und die Informationen sind deshalb zum Teil veraltet). Obwohl gegen keinerlei Gesetze verstossen wurde, mußte die Seite den Server wechseln, weil dem Webmaster von dritter Seite zugetragen wurde, daß der Inhalt nicht gesetzeskonform sei, weil er als Werbung oder Suchliste für problematische Filme herhalten könne. Prophylaktisch wurde dem Inhaber der Seite angetragen, das Angebot zurückzuziehen. Der Autor Michael Stach äußert sich wie folgt auf seiner Seite:
Wie einige Besucher dieser Seite sicher bemerkt haben, mußte ich sie von dem Server der Universität Leipzig entfernen. Der Grund war, daß sich jemand, dessen Adresse mir nicht mitgeteilt wurde, beschwert hat, ich würde Werbung für Gewaltprodukte unter dem Deckmantel der Information betreiben. Diese Behauptung ist falsch und beleidigend. Ich würde mir sicher nicht die ganze Arbeit machen, nur um auswahllos für alle indizierten Filme zu "werben". Ich habe keinerlei finanziellen Nutzen aus dieser Seite, noch hat diesen ein Person mit der ich in Beziehung stehe.
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie indirekte Zensur funktioniert: Aus Angst vor möglichem Ärger mit Behörden wird eine Seite vom Server genommen, obwohl nicht geklärt ist, ob diese Seite überhaupt gegen geltende Gesetze verstößt.

"Night of the living dead"
Unter "Beschlagnahmungen" taucht im "JMS-Report" folgender Film auf:

DVD: Night of the living dead (Die Rückkehr der Untoten)
Anchor Bay Entertainment, Anschrift unbekannt
AG Tiergarten,  BB vom 09.05.2000,
Az: 349 Gs 1913/00
Der deutsche Titel sagt aus, daß es sich um das Remakte des Romero-Klassikers von 1990 handelt (das Original von 1968 ist nicht beschlagnahmt). Dieser Film ist jedoch bei Anchor Bay nie erschienen, sondern bei Columbia. Damit ist eine Filmversion beschlagnahmt worden, die es gar nicht gibt. Ich denke, gerade bei so wichtigen Dingen wie der Beschlagnahmung einer Schrift sollte eine solche Schlamperei nicht geschehen.

Weitere Fallbeispiele werden folgen.


Kommentierte Ausschnitte aus Indizierungsbegründungen

Scream:
(vollständige Indizierungsbegründung der BPjS)

Entscheidung Nr. 4850 vom 03.12.1998
bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 237 vom 16.12.1998
[...]
Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass der Videofilm geeignet sei, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren, da der Inhalt auf Kinder und Jugendliche verrohend wirke. In diesem Film würden zahlreiche Personen bestialisch getötet. Darüber hinaus würden diese Tötungsszenen in epischer Breite gezeigt.
[...]
Wie der Verfahrensbevollmächtigte der Verfahrensbeteiligten ausgeführt hat, genießt dieser Film ein hohes Ansehen beim Publikum, da er sich darstellt als Persiflage auf das Horrorfilmgenre insgesamt. Dies hat auch das Gremium der Bundesprüfstelle nicht verkannt. Gerade diejenigen, die häufiger mit Horrorfilmen vertraut sind, sind die Anspielungen auf andere Horrofilme unter anderem auch die von Wes Craven selbst durchaus bewußt geworden. So heißt der Hausmeister in der Schule Freddy, der nicht nur so heißt, wie die gleichnamige Horrorfigur, sondern auch ebenso aussieht. Die Szene mit dem Fernseher erinnert in starkem Maße an den Videofilm "Muttertag", das Quizspiel zu Beginn des Filmes erfragt Namen aus den Horrorfilmen "Halloween" und auch Jason darf bei der Horroparty mit den Folgen von "Freitag der 13." nicht fehlen. Dennoch hat das Gremium der Bundesprüfstelle dahingehend votiert, dem Jugendschutz Vorrang vor dem Kunstschutz einzuräumen. Die Argumente liefen insbesondere darauf hinaus, dass es sich bei den Filmen, auf die in Anspielungen verwiesen wird, um Filme handelt, die entweder von der FSK gekennzeichnet wurden mit "nicht freigegeben unter 18 Jahren", die von der Bundesprüfstelle indiziert wurden oder die sogar durch entsprechende Beschlüsse bundesweit beschlagnahmt wurden, also alles Filme, die Kindern und Jugendlichen aufgrund der Gesetze zum Jugendschutz von vornherein nicht zugänglich sind. Kindern und Jugendlichen wird daher die Persiflage auf diese Filme nicht transparent.

Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Da wird ein Film, der ab 18 Jahren freigegeben ist, indiziert, weil Kinder und Jugendliche die parodistischen Anspielungen nicht verstehen könnten. Mit solchen Begründungen beraubt sich die BPjS letztlich ihrer Glaubwürdigkeit.



Starship Troopers:
(vollständige Indizierungsbegründung der BPjS)

Entscheidung Nr. 4881 vom 10.03.1999 bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 62 vom 31.03.1999

[...]
"Starship Troopers" hat trotz erheblichen Produktionsaufwand nur mäßige Kritiken erfahren.
Die Behauptung, der Film zeige extreme Gewaltdarstellungen, glorifiziere den Militarismus und weise xenophobe Tendenzen auf, wird von zahlreichen weiteren Kritikern aufgestellt.
Wie vernichtend das Urteil der Zeitschrift "filmdienst" ausfällt, ist bereits angedeutet worden.

Unter der Internet-Adresse "www.arena.de/filmtaps/archiv" resümiert ein anderer Kritiker namens Jekubzik: "Der Spaß, unglaublich platte Barbie-Gesichter aus Serien wie "Melrose Place" in sehr blutigen Space-Gemetzel zu sehen, hält nicht lange vor. Diese sogenannte Satire wurde hinzugemixt in der Hoffnung, dass das Mäntelchen "Ironie" das allzu dreiste Kriegstreiben beschönigen kann. Und einige Zuschauer übernehmen die Entschuldigung sogar dankbar."

Die Adresse mit dieser Internetkritik ist nicht mehr erreichbar. Ich halte es für sehr fragwürdig, Internetkritiken in einer Indizierungsbegründung anzuführen, denn da Internet-Seiten schon mal die Adresse wechseln oder ganz aus dem Web verschwinden, sind diese Quellen eventuell zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nachprüfbar.

[...]
Dass einiges an dem Film als Satire gedacht war, indessen den Zuschauer selten erreicht, wird in fast allen Kritiken angemerkt. Satirische Seitenhiebe machen sich folgerichtig nur dort bemerkbar, wo Werbespots - müde Anleihen an einen der früheren Filme Verhoevens, nämlich "Robocop" - eingespielt werden.

Der Film, auf den sich die "müden Anleihen" beziehen und offensichtlich von der BPjS als "Satire" erkannt wurde, ist ebenfalls indiziert. Anscheinend werden je nach Gusto die Argumente so hingebogen, wie sie sich als brauchbar erweisen.

Robert Rothen, ein Kritiker aus dem englischsprachigen Raum, befasst sich mit dem nationalistischen Gehabe der Soldatenkinder aus "Starship Troopers" und glaubt, dass der satirische Umgang mit Militarismus gerade bei einem jugendlichen, von Krieg und Kriegsfolgen unbehelligten Publikum ins Leere geht (Internet-Adresse www.lariat.org/AtTheMovies/starship. html). Er hält "Starship Troopers" für ein geeignetes filmisches Mittel, Jugendliche für den Militärdienst zu rekrutieren.

Dies ist die größte Stilblüte dieser Indizierungsbegründung. Wieder haben wir es mit einer Internet-Kritik zu tun. Allerdings entgeht den Damen und Herren von der BPjS, daß wir in einem Land leben, in dem Wehrpflicht gilt. Wenn es nach diesem Argument ginge, müsste jeder Bundeswehr-Werbefilm auf den Index gesetzt werden - ebenso jeder Beitrag, der positiv über die Bundeswehr berichtet.

Ich weise an dieser Stelle darauf hin, daß die zitierten Stellen nur einen Ausschnitt aus den Indizierungsbegründungen wiedergeben. Um sich ein vollständiges Bild der Entscheidungen der BPjS zu bilden, sollte man den Gesamttext der Begründungen durchlesen.


Psychologie und Meinungen

Offizielle psychologische Begründung der BPjS

Die BPjS begründet die Indizierung eines Filmes oft wie folgt:

Die Tatsache, dass solche Inhalte auf Kinder und Jugendliche verrohend wirken können, belegen folgende Ergebnisse der Wirkungsforschung.

So gilt die Katharsistheorie, die medialer Gewalt eine Eignung zum Aggressionsabbau unterstellt, inzwischen als eindeutig widerlegt. Sie wurde in den sechziger Jahren maßgeblich von dem Psychologen SEYMOUR FESHBACH verfochten. FESHBACH selber hat diese Theorie nicht bestätigt gefunden, ist vielmehr zu dem Ergbenis gelangt, "daß die Bedingungen, unter denen eine Katharsis auftreten kann, nicht alltäglich sind, während aggressionsfördernde Bedingungen sehr viel häufiger vorkommen" (zit. nach KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 60).

FESHBACH´s Revision entspricht der aktuelle Stand der Wirkungsforschung. Übereinstimmung besteht dahingehend, daß Gewaltdarstellungen mit einem Wirkungsrisiko verbunden sind; anders ausgedrückt, daß violente Medieninhalte unter bestimmten Bedingungen einen Beitrag zur Stabilisierung bzw. zum Aufbau gewalttätiger Persönlichkeiten leisten.

GROEBEL und GLEICH geben den aktuellen Stand der Wirkungsforschung wie folgt wieder: "Auch wenn schädliche Wirkungen von Mediengewalt pauschal nicht nachweisbar sind: Es gibt bedeutend mehr Indikatoren für ein Wirkungsrisiko als für eine generelle Harmlosigkeit oder gar Nützlichkeit aggressiver Darstellungen. Gewaltdarstellungen bewirken im wesentlichen eine Verstärkung oder Konstituierung angstbesetzter und aggressiver Weltbilder, die aufgrund fehlender unmittelbarer Erfahrungen der Rezipienten nur schwer korrigiert werden können. Durch mediale Gewaltdarstellungen wirkt das gesellschaftliche, ohnehin schon eskalierende Aggressions- und Gewaltpotential noch bedrohlicher, als es tatsächlich ist. In diesem Zusammenhang wird der Glaube an die Angemessenheit aggressiver Konfliktlösungsstrategien genährt. (vgl. Groebel/Gleich: Analyse der Gewaltprofile von ARD, ZDF, RTL, SAT 1, Tele 5, Pro 7. Landesanstalt für Rundfunk/Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 1992, S. 6f; S. 20F).

Die Autoren kommen an anderer Stelle zum Schluß:

"Die eine "Beweisstudie" zu fordern geht ..... an der wissenschaftlichen Realität vorbei .... Dennoch ist das Wirkungsbild sehr viel eindeutiger als in der Öffentlichkeit und auch in manchen Lehrbüchern häufig dargestellt. Fast alle bislang wissenschaftlich durchgeführten (d.h. empirisch kontrollierten) Untersuchungen demonstrieren einen kurzfristig eindeutigen Verhaltenseffekt von Fernsehgewalt und eine längerfristig zumindest noch überfällige Korrelation zwischen der Menge der Fernsehgewalt und aggressiven Tendenzen." (zit. nach: Groebel & Gleich: Gewaltprofile des deutschen Fernsehprogrammes. Opladen 1993, S. 24f.).

Von besonderer Bedeutung für die Einschätzung möglicher langfristiger Wirkungen von Mediengewalt ist eine Langzeitstudie des britischen Medienforschers BELSON.
BELSON untersuchte an einem repräsentativen Konsum von 1565 männlichen Jugendlichen die Beziehung zwischen dem langfristigen Konsum von Fernsehgewalt und Einstellungs- bzw. Verhaltensänderungen. Die Ergebnisse stellen unter Beweis, daß der langfristige Konsum spezifischer Formen von Fernsehgewalt eine Zunahme interpersonaler Gewalt begünstigt. Dieses gilt insbesondere für a) Sendungen, in denen enge persönliche Beziehungen ein Hauptthema bilden und in denen verbale und psychische Gewalt gezeigt wird: b) Sendungen, in denen Gewalt um ihrer selbst willen gezeigt wird; c) Sendungen, in denen fiktive Gewalt in realistischer Weise gezeigt wird; d) Sendungen, in denen Gewalt im Dienste einer "guten Sache" gezeigt wird....
BELSON führt die Feststellung, daß hoher Konsum von Fernsehgewalt mit häufiger Verwicklung in Gewalttätigkeiten verbunden ist, auf einen unbewußt erfolgenden Desensibilisierungsprozeß zurück. Mit diesem geht eine Enthemmung, d.h. ein Abbau der Schranken, violentes Verhalten zu zeigen, einher. (vgl. KUNZCIK: Gewalt und Medien, Köln 1994, S. 118f.).

Wie man sieht, gibt es durchaus Untersuchungen, die bestätigen, daß Gewalt in Filmen einen negativen Einfluß auf Kinder und Jugendliche haben.



Die "Doppelte-Dosis"-Hypothese

Die meines Erachtens bislang beste Antwort enthält die Doppelte-Dosis-Hypothese  von Gerbner et al. (1980). Wer erstens in der Familie viel reale Gewalt erlebt und zweitens zusätzlich viel Gewalt im Fernsehen konsumiert, wird für Gewaltausübung vermehrt anfällig.
 Heath et al. haben 1986 die Relevanz dieser Hypothese auch für 18-25jährige männliche Kriminelle aufgezeigt. Allerdings spielt die familiale Gewalt wohl eine noch größere Rolle als die Mediengewalt; die Bezeichnung “doppelte Dosis” macht das nicht genügend klar: Es gilt also letztlich: Mediengewalt leistet wohl nur dort einen deutlichen Beitrag zur Gewaltentstehung, wo das alltägliche reale Leben bereits als aggressiv erfahren wird und eine Gewaltbasis geschaffen hat. Medien allein machen wohl nicht kriminell; Medienwirkungen können sich jedoch zu anderen Ursachen von Gewalt hinzuaddieren.
 Aber seien wir uns bewußt: Die Forschung über Kindesmißhandlung im allgemeinen und über sexuelle Mißhandlung im besonderen zeigt auf, daß es sich bei den Kindern, die zu Hause Gewalt erfahren, nicht um eine zwar bedauernswerte, aber doch nur kleine Gruppe handelt; ihre Zahl geht vielmehr allein in Deutschland in die Hunderttausende
(Prof. Dr. Herbert Selg: Psychologische Wirkungsforschung über Gewalt in den Medien in: tv-diskurs Nr. 2)

Hier zeigt sich meines Erachtens die Problematik des derzeit praktizierten Jugendschutzes: Anstatt die Jugendlichen vor familialer Gewalt (und damit der Ursache) zu schützen, werden mögliche Auslöser eliminiert. Nach dieser Aussage sollen letztlich nicht die Jugendlichen geschützt, sondern die Gesellschaft vor "tickenden Zeitbomben" bewahrt werden.



Der "Third-Person"-Effekt

Es gibt ein Erklärungsmodell, das einen ganz interessanten Effekt beschreibt, der schon während des 2. Weltkrieges im Rahmen der Propagandaforschung in Amerika untersucht wurde. Das ist der sogenannte “third-person-effect”, der in dieser Form nicht einfach als Dritte-Person-Effekt übersetzt werden kann. Der “third-person-effect meint”, daß wir beide überzeugt sind, daß zuviel Gewalt im Fernsehen schlecht ist und daß wir andererseits der Meinung sind, daß wir uns selbst solche Programme ohne Probleme anschauen können. Uns macht das ja nicht so viel aus, denn wir sind ja nicht blöd. Wir werden sicher nicht über jemanden herfallen, wenn wir uns einen - möglicherweise auch künstlerisch sehr wertvollen und interessanten - Film anschauen, der Gewalt darstellt.
Das heißt, die anderen sind gefährdet, wir selbst sind nicht gefährdet. Das sagt aber jeder, und aufgrund dessen gehen alle nach Hause und schauen sich diese Filme an. Das ist schon mal eine sehr triftige Erklärung dafür, daß es nicht die pure Unanständigkeit der Menschen ist, die hier mit gespaltener Zunge sprechen. Sondern es handelt sich um einen Effekt, der auch in der Werbung zu beobachten ist, bei der immer darüber gesprochen wird, daß man darauf achten muß, daß sie nicht zu sehr manipuliert und daß vor allem die Kinder nicht zu Konsumsklaven werden. Andererseits äußern die allerwenigsten Leute in persönlichen Gesprächen die Meinung, daß sie selbst durch Werbung schwer gefährdet sind. Auch da sagen die meisten Menschen: `Wir kaufen uns nicht grundsätzlich etwas, was wir nicht brauchen, nur weil die Werbung uns etwas einredet, bei uns funktioniert die Gehirnwäsche nicht.´ Andere Menschen, Kinder vor allem, die ja nach unseren Vorstellungen besonders bewahrt werden müssen, sind natürlich viel gefährdeter als wir selbst.
(Gewaltfilme als Angsttraining. Kontrollierbare Angstreize simulieren den Umgang mit realen Ängsten. Gespräch mit Prof. Dr. Peter Vitouch, Universität Wien in: tv-diskurs Nr. 2)



Sündenbock Medien?

Es kann Medienwirkungen geben, es kann Imitationen geben. Es ist bewiesen, daß es nach Berichten über Selbstmorde zu einer erhöhten Selbstmordrate kommt. Es gibt vernünftige Abmachungen, daß möglichst wenig plakativ über Selbstmorde berichtet wird. Aber niemand wird sagen: Weil über Selbstmord berichtet wurde, haben sich vernünftige, gesunde und normale Menschen umgebracht. Sondern so ein Bericht ist vielleicht der letzte Anstoß für einen Menschen, der schon vorher einige Probleme hatte. Und wenn man das auf Gewaltwirkungen überträgt, dann gibt es diese Fälle, in denen Menschen zu Imitationstätern werden, nur: Die Warnsignale, die Probleme, die es vorher gab, waren so deutlich, daß den Medien nicht die Schuld dafür in die Schuhe geschoben werden kann, indem man sagt: Weil dieser eine Film gelaufen ist, ist es zu dieser Tat gekommen. Vielmehr muß man sagen: Weil rund um diesen Menschen niemand darauf geachtet hat, weil die ganzen Hilferufe von Eltern, Schule und Umwelt nicht wahrgenommen wurden, hat der Film zum Auslöser werden können. Der Film  kann aber der Tropfen sein, der das Faß zum Überlaufen bringt. Aber oft sind die Fälle, die in der Öffentlichkeit als Nachahmungstaten hingestellt werden, bei näherem Hinsehen keine wirklichen Imitationen, aber das wird dann so konstruiert. In Österreich hat es einen Fall gegeben, in dem ein Jugendlicher seine Lehrerin umgebracht hat. Das war auch keine Imitationstat. Aber das wurde so konstruiert, daß man gefragt hat:
“Wie konnte der Bub mit einer Waffe so gut umgehen? Das kann er doch nur im Fernsehen gelernt haben.” Und warum ist er auf die Idee gekommen, mit Menschen so umzugehen, doch wohl nur deshalb, weil es Modelle im Fernsehen gegeben hat. Niemand ist der Frage nachgegangen, in welcher Situation sich der Bub befunden hat, der unter dem großen psychischen Druck seiner krebskranken Mutter in einer materiell elenden Situation gestanden hat, und das ohne gesellschaftliche Hilfen. Der Bub, der sich gerade in der Pubertät befand, kam mit der Welt überhaupt nicht mehr zurecht. Wenn man das auf die Medien abschiebt, ist das ein Verdrängen der wahren Probleme. Die wahren Probleme sind immer komplexer, schmerzhafter und schwieriger als die vordergründigen, die man mit einem Chip oder durch Medienverbote glaubt, auf Knopfdruck ausschalten zu können.
(Gewaltfilme als Angsttraining. Kontrollierbare Angstreize simulieren den Umgang mit realen Ängsten. Gespräch mit Prof. Dr. Peter Vitouch, Universität Wien in: tv-diskurs Nr. 2)

Andere Betrachtungen werden mit der Zeit hinzugefügt werden.


Verwendete und empfehlenswerte Literatur zum Thema


Roland Seim / Josef Spiegel:
"ab 18 - zensiert, diskutiert, unterschlagen" (Standardwerk z. Thema "Zensur in Deutschland")
ISBN 3-933060-01-X
Telos-Verlag
29,80 DM

Gabriele Meierding:
"Psychokiller - Massenmedien, Massenmörder und alltägliche Gewalt"
ISBN 3-499-19390-6
rororo
10,90 DM

Frank Trebbin:
"Die Angst sitzt neben Dir" (Psychothriller, Horror- und SF-Filme seit 1960)
ISBN 3-929234-10-6 (erster Band)
Selbstverlag Frank Trebbin
49,80 DM (pro Band; insgesamt 5 Bände)

Peter Osteried
"Sam Raimi Chronicles" (Die Werke von Sam Raimi ausführlich beschrieben)
ISBN 3-931608-35-2
MPW-Filmbibliothek
49,80 DM

sowie natürlich die empfehlenswerten Magazine "JMS-Report" und "tv-diskurs" (beide Nomos-Verlagsgesellschaft)



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